fallen/legen blog

Der blöde Seppi, Teil Zwei

von Mario Wimmer

Teil Eins gibt’s hier.

Es ist auch sonst nicht viel passiert in dem Frühjahr und Sommer, und streng genommen ist das ja eine unheimlich leere Zeit, im Lebenslauf steht später eh nur 1990 – 1999 Gymnasium Hintertupfing. Oder sollte man da vielleicht alles reinschreiben, was die fünf so erlebt haben in den paar Monaten? Sollte man erzählen, dass die Steffi von jetzt an öfter auf den Konzerten aufgetaucht ist? Oder dass der Seppi sich fast den Hals gebrochen hätt als er sauber angesoffen bei ihr zum Fensterln wollt? Und dass sie ihn trotzdem nicht reinlassen hat? Dass der Karlo vom Familienurlaub in Amsterdam ein Sackerl Hanfsamen mitgebracht und mit dem Jak an einem lauschigen Südhang im Wald angebaut hat? Dass die Konzerte sich in der Folge, auch dank der vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten vom Bully von der Steffi und am Gras vom Jak, zunehmend in die Länge gezogen haben? Über was die fünf bei Bier und Dübel und Gitarre philosophiert haben?

Am Ende von dem Sommer jedenfalls sind sie nochmal alle zusammen ins Freibad eingestiegen, der Seppi, die Steffi, der Karlo, der Max und der Jak. Weil es grad so gepasst hat und um das Sommerende würdig zu begehen und natürlich um mit dem letzten Freiluftgras vom Jak ein bisschen verfrühtes Erntedank zu feiern. Langsam macht die barocke Erotik voller, klebriger Sommerluft der leeren, klassizistischen Strenge des Herbstwindes Platz, der die niederbayrische Steppe in sternenklaren Nächten langsam auskühlt. Also in bunten Boxershorts die Kinderrutsche runter, untertauchen ins ewig lauwarme Chlorwasser, das den jungen Körper langsam umschließt. Tauchen in der Schwerelosigkeit, mit gedämpften Sinnen treiben, verschwommen sehen, dumpf hören und nichts riechen, dafür mit allen Körperteilen die Wärme spüren. Auftauchen in die beginnende Herbstkälte und das Wasser aus den Haaren schütteln. Ein Schluck Wodka, irgendwie ist da Chlorwasser rein gekommen und außerdem lauwarm – am Beckenrand packt der Seppi den Max und dunkt ihn ins aufgewühlte Nichtschwimmerbecken, zwei junge Bullen, Bayern, beim Ringen. Besoffen von Alkohol, Jugend, Gras und Männlichkeit tauchen beide donnernd auf und unter.

Natürlich sind in der Zeit nicht nur tolle Sachen passiert, da ist auch einiges in die Brüche gegangen: Das vorher schon erwähnte Fenster von Steffi zum Beispiel, der dicke Aschenbecher vom Jak, die Ehe vom Karlo seinen Eltern, im Vorfeld auch einiges im Hause Maier und im Nachhinein auch noch die Band. Das mit dem Aschenbecher war eigentlich nur so ne typische Kifferstory: Eigentlich wollten der Seppi und der Jak beim Max nur kurz einen rauchen, aber dann sind halt doch drei, vier draus geworden. Für jeden. Der Aschenbecher – und das ist ebenso tragisch wie wichtig – war also voll mit Stummeln, die nicht unbedingt nach Zigarette aussahen. Ich mein, die Eltern vom Max waren ’62 in Schwabing dabei, aber ob sie es vierzig Jahre später auch noch so locker gesehen hätten? Also, die Burschen auf der Terrasse am chillen, der Aschenbecher voll und plötzlich schlägt das Gartentor. Rudimentäre Kommunikation Max: Elf – Eltern – Scheiße – weg mit dem Zeug, flott. Und denkt sich noch, dass es doch so viel Schwung gar nicht bräuchte, um die Asche samt Stummeln einfach nur elegant ins Schilf neben der Terrasse zu leeren, da fliegt der Aschenbecher, vom Seppi beschleunigt wie ein Diskus, schon quer durch den Garten. Ascheregen und ein bisschen Stummelhagel über der Wiese und ein dumpfer Aufschlag irgendwo beim Weiher. Die Eltern vom Max, Gott sei Dank schon zwei-bier-müde, blinzeln nur kurz, der Vater vom Max murmelt was von Fledermäusen und dann verschwinden sie auch schon durch die Terrassentür.

Und während die Bullen schnaubend tanzen, liegen die anderen drei auf dem Kinderrutschenwalross, lassen die Blicke über die Wiesen, ja, da hinten vor dem Wald sind echt drei Kühe auf der Weide und ja, die schlafen im Stehen. Den Tabakbeutel, die Paper und den Kanten auf dem Schoß verliert sich die Steffi in der Ferne. Da erahnt man dunkel Berge, da kommt erstmal nur Ebene. Dreht langsam einen Dübel. Irgendwo da liegt München und da, da liegt Passau, da Landshut und da Rosenheim. Der Jak gibt ihr Feuer, sie zieht zwei, drei Mal und gibt ihn dann dem Karlo. Danke, sagt der, nimmt einen Zug und nochmal, danke. Nicht zur Steffi und nicht zum Dübel, sondern zum Moment, zu vier Freunden und einem rettenden Sommer. Im Becken hinter ihnen werden die Fontänen langsam kleiner und die Wellen flacher. Geht den Bullen langsam die Puste aus, bis sie sich irgendwann Arm in Arm gerade so an den Beckenrand schleppen, vorne über kippen und jappsend liegen bleiben. Knallrote Schädel und aufgepumpte Muskeln, absolut verausgabte Eintracht. Rappeln sich auf und steigen auch auf das Walross. Fünf Schemen auf dem bulligen, dunklen Körper am Rand des träge leuchtenden Beckens, irgendwo weit draußen in den Wiesen und Feldern. Der nächste Hof ein gutes Stück weg, dahinter leuchten die ersten Häuser vom Dorf und dahinter jagt von Zeit zu Zeit ein Scheinwerfer über die B12.

Die Ehe von Karlo seinen Eltern, viel Geschirr und die Band, ja. Der Vater vom Karlo war ja nicht schon immer Autohändler, das hat er ja nur vom Großvater übernommen, so war ja auch der Deal: Der Xav, so heißt der Vater vom Karlo, studiert in München was er will und mit wem er will, Rechnung geht auf’s Haus, aber dafür übernimmt er später mal das Geschäft. Drei Geschäfte um genau zu sein, gewissermaßen ein Autohausimperium am Schnittpunkt zwischen Ober und Nieder. Und weil der Schnittpunkt zwischen Ober und Nieder sich so rein flächenmäßig ganz unpunktmäßig ausdehnt, braucht ein jeder ein Auto und die Geschäfte laufen. Laufen auch ohne, dass der Vater vom Karlo groß eingreift, wenn er wollte könnte er schon, ist schließlich ein messerscharf ausgebildeter Analytiker, sechzehn Semester früh-bayrische Exzellenzinitiative, Magister in bayrischer Geschichte, mittel-vorderasiatischer Philosophie, Geologie und Betriebswirtschaftslehre. Messerscharf war auch die Analyse die dann das Ende einer langen Ehe besiegelt hat: Sie wäre jetzt langsam in dem Alter in dem Frauen ästhetisch verfallen, also gemeint hat er natürlich, dass die Lisl auf höchst ästhetische Weise verfällt, im Alter also – quasi – noch – schöner… aber da war die Haustür schon zu und ein sauberer Riss im Türstock. Vielleicht war es auch gar nicht die Schuld vom Karlo seinem Papa, die CSU hat den Edi ja auch nicht wegen der Flughafenrede gestürzt, das war ein Entfremden auf beiden Seiten und das Ende unvermeidlich.

Nach und nach rutschen die fünf über die breite Seite des Walrosses – es ist eigentlich mehr ein faules Gleiten als ein Rutschen – gleiten die fünf also ins Becken. Das Wasser spritzt kaum, es greift mehr nach dem Körper, der sich langsam in die Wärme senkt. Ein seltsam anarchisches Wasserballett das da, alle Glieder von sich gestreckt, müde im Nichtschwimmerbecken treibt. Warmes Wasser in den Ohren, dumpf und dreimal läutet die Kirchenglocke in der Schwärze, warmes Wasser, das die müden Helden langsam schaukelt. Ein Nicht-Zustand, Nicht-Schwere, Nicht-Bewegung, Nicht-Raum, nur wohlige Wärme. Neben dem Seppi treibt die Steffi, eine kleine Welle und plötzlich berühren sich die Kuppen ihrer Zeigefinger, noch eine und gespreizte Finger die  ineinander gleiten, einander halten. Der Seppi schließt seine Augen und die Sterne verschwinden, der Seppi schließt seine Ohren und das Plätschern verstummt, der Seppi schließt seine Nase und das Wasser riecht nicht mehr nach Chlor – der Seppi ist gleichzeitig da und weg, sieben Monate, destilliert wie ein Obstler, in einen Moment. Ethanol, Tetrahydrocannabinol und Epinephrin nicht mehr als dämpfender Schleier, sondern Katalysator. Und im Seppi explodiert die Sonne, explodieren tausend Sonnen, alles ist Energie, er könnte hunderte Himmel stemmen, sich die Eingeweide tausend Mal aus dem Bauch fressen lassen und Sisyphos Fels eine Million mal den Berg rauf kugeln, so wie damals die tapferen Bayern vom König Otto, aber der Seppi bleibt einfach nur liegen und denkt sich: passt.

Mit der Ehe vom Karlo seinen Eltern ist dann leider auch die Band zerbrochen, der Karlo musste aufs Internat nach Neu-irgendwas und war dann auch an den Wochenenden nur noch höchst selten im nächsten Dorf. Einen neuen Bassisten wollten sich die anderen drei nicht suchen, hätten die Daltons sicher auch nicht gemacht. Wenn er mal da war, war der Averell auch meistens gut fertig mit sich, seinen Eltern und der Welt. Nie was schmeißen wenn du schlecht drauf bist und erst recht nicht allein, weiß man ja nicht wie es ausgeht hat er noch zum Max gesagt, als sie sich mit sechzehneinhalb mal an die Chemie getraut haben. Aber nach der Scheidung war ihm einfach alles egal, und viele bunte Smarties seine einzigen Begleiter. Das ist echt eine ganze Zeit so gegangen und er hat da auch nicht groß mit sich reden lassen. Richtig böser Trip, bis es dann gekracht hat, zwischen ihm und den anderen vier. Es hat alles ganz harmlos angefangen, es war das erste Wochenende der Sommerferien und der Karlo war daheim und allein mit sich und Pillen die lachen. Plötzlich rumpelts draußen vor der Doppelgarage gewaltig und wie er aus dem Fenster schaut, steht da der rote Bully und die Steffi auf dem Dach und die Band ohne Bass davor und fängt an zu zocken. Und der Karlo springt zurück ins Zimmer, packt seinen Fender, immer drei Stufen auf einmal, die Haustür auf, er stürmt raus, packt den Fender ganz fest am Hals und drischt ihn mit aller Gewalt auf den Pflasterboden. Und hört nicht auf, bevor vom Korpus nicht mehr als ein trauriger Haufen Splitter und Spreißel über sind. Die vier haben ihn dann in den Arm genommen und damit haben die Sommerferien angefangen.

Nach und nach klettern die vier über die dünnen Alusprossen – es ist eigentlich mehr so ein angestrengtes Herauswuchten als ein Klettern – wuchten sich also die vier Burschen aus dem Becken. Der Seppi als Letzter, ganz langsam lässt er die Steffi los, stößt sich mit seinen Fingerspitzen von den Fingerspitzen von der Steffi ab und treibt zum Beckenrand. Plock-plock, plock-plock singt das Wasser, das träge von seiner Short tropft auf dem Plastikgullideckel neben der Leiter. Die Anderen ziehen sich grad schon ihre Klamotten über und nur der Seppi steht da und betrachtet still die Steffi. Sie treibt da im Becken wie die Mädel auf dem Poster von dem Tschechen – Mucha heißt der – das beim Max seinen Eltern in der Küche hängt – schlanke Glieder, blasse Haut und Haare die ihr Gesicht in feine Ornamenten rahmen – so treibt sie da, wie tot.

Fortsetzung folgt nächsten Freitag.

4 Kommentare!

  1. Jörn Am 12. November 2009 um 10:28 Uhr.

    Zefix, Mario, mal wieder eine fabelhafte Weltgeschichte! Ach ja, bitte keine Emoticons einführen, denn die Jungs und Mädls sollen schreiben was sie denken und nicht malen nach Zahlen.

  2. Der blöde Seppi, Teil Drei-fallen/legen Am 16. November 2009 um 01:42 Uhr.

    […] Teil Eins gibt’s hier, Teil Zwei gibt’s da. […]

  3. Der blöde Seppi, Teil Vier-fallen/legen Am 20. November 2009 um 02:12 Uhr.

    […] Eins gibt’s hier, Teil Zwei gibt’s da, Teil Drei […]

  4. Bläd glaffa-fallen/legen Am 26. November 2009 um 18:58 Uhr.

    […] Heid a moi Dialekt – wer’s ned mog, kon ja nomoi den Seppi (1,2,3,4)lesn. […]