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Klangraum Vol. 3: Göteborg

von Florian Naumann

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Wie klingt eine Stadt? fallen/legen sucht akustische Antworten. Nach Bayerns Landeshauptstadt die Fortsetzung: Göteborg. Klänge, Räume von Schwedens Westküste:

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Göteborg, eigentümliche Wahl? Im Sommer ist Göteborg eine faszinierende Stadt: Die Schäreninseln, die wie Schildkrötenpanzer aus dem Wasser ragen, die kilometerlange Allee der Hafenkräne, die roten und gelben Holzhäuschen Hagas, Abend- und Morgendämmerung die in einander übergehen, und die stete Euphorie über den Hügeln der Stadt… – Der Plan Göteborg für unseren dritten Klangraum auszuwählen rührte aber aus einer anderen Ecke. Feine Bands in Göteborg finden – eine g’mahte Wiesn, wie man in Bayern sagt. Musikalisch blüht die Stadt auch im Winter, und bringt feinste Gewächse hervor: Im Post-Rock (tenderversions schöner Katalog: September Malevolence, Audrey, Once We Were; EF und Immanu El), unter den Singer-Songwritern (Björn Kleinhenz, Jens Lekman, Kristofer Aström, Winter Took His Life), Shoegaze und Twee (Afraid of Stairs, Bye Bye Bicycle, Boat Club), in elektronischen Gefilden (Thermostatic) und in jener seltsamen überschwänglichen Spielart, die gleich den Namen “Göteborgspop” bekam (Håkan Hellström, Vapnet…). Ein beeindruckender botanischer Musikgarten für eine kleine Stadt.

Das Mähen und Pflücken der Wiesenkräuter erwies sich aber alles andere als leicht – denn für unser kleines Magazin gibt es nur kostenlose Musik ohne Gemaregistrierung. – Gema heißt in Schweden aber “stim” – und ist überall. Wer keine antikommerzielle Strategie oder Ideologie vertritt, und schon einmal eine Bühne betreten hat, der ist angemeldet, scheint es. Über Sinn und Unsinn dieser Sitte gibt es in Bälde noch mehr zu schreiben…

Also hagelte es erst einmal bedauernde Absagen. Genug für eine eigene Compilation. Von all den bekannten und bekannten Bands die oben genannten wurden, sind nur Once We Were vertreten, die für uns in ihren (unregistrierten) Archiven gekramt haben… Dass dennoch ein Tape zu Stande kam ist das Resultat von viel Recherchearbeit… und mehr noch der Hilfe einiger kundiger Helfer: Johan Björklund (vom Label Häleri, und früher oder jetzt vertreten bei September Malevolence, Holmes, Malysz…) hat mit großer Geduld eine lange Liste junger Bands zusammengestellt; Daniel Öhman (EF, Halo of Pendor, Michailov) tat ähnliches. Ohne sie wär’s nicht gegangen. Und da ist noch Malin Dahlberg (We Are Soldiers We Have Guns), die extra einen Song für uns schrieb… All diesen größten Dank. Tack så mycket!

Herausgekommen ist Junges, Wundersames, Lo-Fi und Vergessenes… Ein Spaziergang durch die größten Hafenstadt Skandinaviens, der post-rockig träumend beginnt, auch einmal den Laufschritt einlegt, sich an Schärentage erinnert, Halt in Wohn- und Jugendzimmern macht, und dabei über die Stadt und die Seltsamkeit des Lebens räsoniert… Langer Rede…: Viel Spaß! Nur bis 5.3. dabei ist übrigens Hunts What A Night. Also fix runterladen.


01 Michailov – Day One (Pt. 2/1)
Auf der myspace-Seite Michailovs grüßt eines jener Backsteinmehrfamilienhäuser, die für Göteborg so typisch sind – darüber blauer Dämmerungshimmel, davor die stoisch suchenden Klänge Michailovs. Wie an einem kalten Morgen das Haus verlassen, und durch die leeren Straßen gehen… Michailov arbeiten derzeit an der Musik für einen deutschen Film. Und klingen ein wenig wie Notwists licht-spielender Lichter-Soundtrack.
Bisher nur auf myspace veröffentlicht.

02 Dvalà – Like Doves We Fly
Göteborg mit der großen Post-Rock-Tradition: September Malevolence, Scraps of Tape, Once We WereDvalà, die Jungspunde gehören schon zur Erbengeneration. Und zeigen auf ihrer EP bereits das große Talent: Harmonikas, Melodien, ab und etwas Gefrickel und der Ausbruch: Alles an seinem Platz, tragend genug um 20 Minuten mitzufliegen. Wie Stadttauben mit Luft unter den Schwingen von Aussicht zu Aussicht.
Aus: If These Waves Were To Stay-EP (Eigenvertrieb, 2009)

03 Dorena – I Huset Jag Växte Upp
Auch Dorena ergänzen den post-rockenden Tape-Auftakt. Auf eigenen Wegen: Mit dem shuffelnden Intro und flirrenden Gitarren des Intros… ein wenig Dire Straits-Referenz, und dazu die Stimmen und Assoziationen der Spielplatztage. Und nach der Zäsur in der Mitte des Songs mit dem catchiesten Klimaxaufbau des Jahres. Wann wurde zum letzten Mal eine Post-Rock-Strophe mitgesummt?
Aus: Holofon (Eigenvertrieb, 2009)

04 Lars Ludvig Löfgren – Give The Dog A Bone
Dann der Sprung auf das Leben der Stadtstraßen: Es brodelt und klimpert und swingt – schnell, ernsthaft und ein wenig sarkastisch. Emotion und Relativierung: Sehr viel besseres gibt es über einen Popsong wahrscheinlich nicht zu sagen.
Aus: Heterochromia (Häleri, 2009)

05 Malysz – Knivdansen
Knivdansen, “der Messertanz”, hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel – unbeschadet. An der schönen Kreuzung zwischen Rock und Post-Rock steht die ehemalige Band von Johan Björklund und wundert sich über den schwedischen Winter und sein Tempo – oder so: “As the train hits/your brother’s chest/You get overwellmed by his concience.”
Aus: Hooray For Prisons (On Fire!) (Häleri, 2004)

06 Claes Strängberg – Archipelago
Claes Strängberg ist mehr als einmal mit EF (als Gitarrist) und Immanu El (als Sänger und Gitarrist) durch Europa getourt – Archipelago ist der erste Solo-Wurf. Gänzlich akustisch, ein Tag in den Schären und die lange Nachwirkung… Ein Highlight für den Klangraum. Und für jeden erinnerungsschweren Winter- und Sommerabend.
Bislang nur auf Myspace und last.fm veröffentlicht.

07 Hunt – What A Night Can Do (Kurzzeitbonus, offline seit 1.4.)
Hunt ist das neue Seitenprojekt von Winter Took His Lifes Susanna Brandin. Sonst ganz akustisch nimmt sie sich mit ihren Mitstreitern bei Hunt die Atmosphäre mit Syntie-Teppichen und E-Gitarren zu erspielen. Und so klingt sie dann, die lange, frühe Morgendämmerung nach der schwedischen Juninacht. Still, schwingend, leicht. Man muss dagewesen sein. Oder hier zuhören.
Bislang nur auf myspace veröffentlicht.

08 The Berndt – Autosave
Pop gibt es auch, in der Stadt: Knallbunte Konsolenwelten erspielen sich The Berndt vergnügt aus den Handgelenken. “Autosave me!” – praktisch wär’s.
Aus: GBGBG (Pophat Music, 2010)

09 Tim, Face Berlin – Lake
Auch Tim, Face Berlin gehören zum hoffnungsvollen Post-Rock-Nachwuchs Göteborgs. Lake passe “am besten zur Stadt” fand die Band, und ja: Ein Stadtspaziergang könnte es sein; schlendern und laufen, von den noblen Kanälen im Stadtinneren bis dorthin, wo die großen Kräne stehen und die Frachtschiffe beladen, und all das, was auf diesem Weg so in einem Kopf passiert.
Bislang nur auf myspace veröffentlicht.

10 Halo of Pendor – Papercuts
Halo of Pendor ist Daniel Öhmans Soloprojekt. Und Papercuts hat eine Geschichte. Der Autor hat das Wort: “Papercuts handelt davon, zu versuchen einen Alltag auszuhalten, der einen Job beinhaltet, den man verabscheut, und eine Beziehung, die man hasst. Man lebt in dieser mentalen Winterdunkelheit und fragt sich nicht wirklich warum.<br>Ich erinnere mich, wie ich vor zwei Jahren in meiner Wohnung saß und die Worte “Papercuts and a worn out heart” sang, während ich auf der Gitarre klimperte, leise, um meine damalige Freundin nicht zu stören. Der dunkle nordische Winter lebte ständig in mir, bis ich eines Tages mit mir, und dem meisten um mich herum brach. Zwei Jahre später vollendete ich Papercuts, und ich sehe, dass ich heute völlig andere Wege gehe. Die nordische Winterkälte ist wieder hier, aber sie schafft es nicht bis in meine Seele.”
Bislang nur auf myspace veröffentlicht.

11 The 100 Sound Tone Bank – Cattribute
Klangraum einmal im Wortsinne: Im nahen Vänersborg hat Sofie die 100 Sound Tone Bank (ein keyboardartiges Instrument, wiedergefunden aus Kindheitstagen) mit dem Schnurren des Katers kombiniert: So klingt das Wohnzimmer. Cattribute.
Bislang nur auf Myspace veröffentlicht

12 We Are Soldiers, We Have Guns – Electricity
Malin Dahlberg alias We Are Soldiers… hat speziell für den Klangraum einen Song aus und über Göteborg geschrieben – “because I have strong feelings for the town right now”, schrieb sie. Ein enttäuschtes Liebeslied für eine Stadt, vielleicht: “I’ll put a 40 minute bus ride between me and the lot of you” – das Gefühl Jahre und Erinnerung hinter sich zu lassen, in einem Auto auf der Straße fort von hier. Vielleicht.
Bislang unveröffentlicht.

13 Holmes – We Are Getting Older
Westküste – aber vielleicht eher die amerikanische? Verdammt reifen, schlüssigen Pop fabrizieren Holmes auf ihren Alben. Und wie bei jedem guten Pop-Song greift die allgemeine, vereinzelfallbare Wahrheit: We Are Getting Older. Was soll man tun, als das zu konstatieren…
Aus: We’re Getting Older 7″ (Wild Honey Records, 2009)

14 Once We Were – Untitled (Live)
Ihre veröffentlichten Songs können die wunderbaren Once We Were – Meister im erstellen rätselhafter, packender Struktuten aus einfachen Mitteln – aus Gema-Gründen nicht verschenken. Aber da war noch jener Liveauftritt aus der Malmöer Johanneskyrka, in dem auch ein neuer Song auftauchte. Eine Premiere also. Und der Hall kommt von dem weiten Saal eines schwedischen Gotteshauses.
Bislang unveröffentlicht.

15 Michailov – Day One (Pt. 2/2)

16 Linnéa – What I’d Really Want To Say To You
Linnéa ist gerade mal 16 Jahre alt – aber “eines der großen Talente”, wie Johan Björklund empfahl. Das ist dann Oasis’ Married With Children in noch-authentischer, verknarzt mit dem Kassettenrecorder aus dem Raum gegriffen, und glasklar gesungen. Wir hoffen auf ein Wiederhören.
Bislang ausschließlich auf myspace veröffentlicht.

Download Klangraum Mixtape -> hier (zip-Datei, 100mb)
Zum Wortraum Göteborg -> hier

3 Kommentare!

  1. Nils Am 2. March 2010 um 11:44 Uhr.

    NICE.

  2. Neue Bekannte (Spcl Edtn): Das verbotene Tape-fallen/legen Am 7. March 2010 um 01:08 Uhr.

    […] Gema-Gründen (und trotz beiderseitiger Sympathie und prinzipieller Einigkeit also) nicht auf den dritten, den Göteborger, Klangraum geschafft. Und als “Kulturverstärkender” auf dieser Seite der Anlagen- und PA-Boxen, […]

  3. fallen/legen präsentiert: Holmes auf Tour.-fallen/legen Am 14. April 2010 um 14:17 Uhr.

    […] kann man das in unserem Klangraum-Göteborg, ab Juni im (soviel kann schon verraten werden) sehr gelungenen neuen Album „Have I Told You […]