fallen/legen blog

Der blöde Seppi, Teil Drei

von Mario Wimmer

Teil Eins gibt’s hier, Teil Zwei gibt’s da.

So treibt sie da, wie tot. Wie tot, verdammte Scheiße! brüllt der Seppi. Mitten ins Gesicht brüllt er es ihnen, dem dumm-dämlichen Bullen auf der Wache, seinen Eltern und dem Franz, die ihn nur leise anschauen, ihren Eltern, die zurück brüllen, dem Karlo, dem Max und dem Jak, die dabei waren und dem Pfarrer, der Mal mit ihm reden wollte. Wütende Worte am Ende einer wütenden Erzählung, einer wütende Erzählung von dem was war, in einer Nacht, in ein paar Wochen, in ein paar Monaten, in einem kleinen Leben. Eher oft als manchmal findet der Seppi keine Worte mehr zum erzählen und auch keine mehr zum brüllen, dann ist da einfach Stille. Und das Licht, das Licht das im dunklen Herbstabend das Polizeibüro, die Wohn- und Kinderzimmer beleuchtet, wird blass. So blass, dass das Gesicht vom Seppi ganz weiß wird und mittendrin rote Augen, also eigentlich blaue Augen, blaue Pupillen, nein – also jetzt von vorn und richtig: schwarze Pupillen, blaue Iris, weiß-rote Lederhaut. Eh alles verschwommen, vom Salzwasser, das strömt und strömt. Und mit dem Salzwasser, da läuft irgendwas aus dem Seppi raus, und wie er endlich aufhören kann mit dem Geheule, ist er leer. So leer, dass es eigentlich ein Wunder ist, dass sich dem Seppi sein Körper nicht nach innen stülpt, sich selbst verschluckt und weg ist.

Wie das wohl wäre? Das weg sein? Ausprobieren müsste man es, aber ausprobieren heißt ja irgendwo zurück können, also wenn es einem vielleicht nicht so taugt. Der Ludwig hätte damals vielleicht auch gern wieder zurück wollen und noch ein bisschen auf Neuschwanstein oder Linderhof Märchen nachspielen. Aber da ist er schon im grünen Würmseewasser getrieben und neben ihm der graubärtige von Gudden. Naja, wer da wen und warum und ob nicht doch ein Gendarm den Ludwig auf der Flucht, das wissen nur die Königstreuen. Statt Momentperlen auf einer Kette, geboren auf Schloss Nymphenburg, Wagneropern Tannhäuser und Lohengrin, “Ludwig, von Gottes Gnaden König von Bayern, Pfalzgraf bey Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben”, Verlobung Heinrichs mit Else, Lösung der verlobung, Kaiserbrief und Entmündigung, Spaziergang mit von Gudden, Tod, reißt das Band hier plötzlich, fasert auf, offene Enden, offene Fragen, es fehlt eine Perle und plötzlich wird das weitermachen schwer. Wir Bayern sind seitdem auf jeden Fall hochsensibilisiert was den Freitod in öffentlichen Gewässern angeht. Und überhaupt, was machst denn dann, wenn nix mehr kommt außer feucht-schwarzer Erde und Maden? Er hätte ja auch gar nicht weg können, wollte ja ständig noch jemand was von ihm wissen. Was ist denn passiert? Also erstmal seine Eltern, noch in der Nacht, da hinten dämmert es schon rosig, hier vorn ist erstmal alles dunkelgrau. Die Umkleidekabine und der Kiosk, die alten Bäume, das strubelige Gras und vor dem Horizont der alte Wald. Dann, grelle Scheinwerfer, brennen auf weiße Gesichter, goldene Rettungsdecken, bunte Badehosen, orange Westen, weiße Reflektorstreifen, grüne Uniformjacken. Was ist denn los, Seppi? Was habt’s denn angestellt? Ein absurd buntes Ballett mitten im grau-braunen Nichts der weiten Wiesen und Äcker. Grad sind sich noch in einem Becken, einer Blase voller Glück getrieben, tobt um sie ein hektischer Sturm, der die Blase erst leicht ausfransen lässt und dann zerfetzt. Polizisten die auf den Jak, den Max und den Seppi einreden, Eltern die mitreden, irgendwo blitzen Reporter und die Feuerwehrler wickeln alles in Absperrband ein. Was ist denn mit deine Augen? Ah, geh her Bua. Am Beckenrand stehen schweigend Sanitäter, der Arzt kniet noch neben ihr, auch er schweigt. Keiner von den drei, ja drei, der Karlo ist hinten über die Äcker, der war viel zu verstrahlt, hat eine Antwort.

Der Pfarrer ist jung und ausgebildeter Seelsorger, und in Bayern quasi Gott auf Erden oder so ähnlich. Zumindest isst er jeden Sonntag bei der Mutter vom Gschwendtner, und weil der Polizeirat ist, sind sie halt erstmal nicht auf der Wache, sondern im Pfarrhaus gelandet. Die zwei, drei Stunden dort, ein kleiner Traum von Festigkeit. Festigkeit, oder das was vom bayerisch-katholischem Barock übrig bleibt wenn man seine Schwülstigkeit wegsäkularisiert. Friedlich steht es da, neben dem Zwiebelturm mit dickem Schiff, das kleine Pfarrhaus. Ein alter Boden aus schweren Eichenbohlen, eine massive Eckbank direkt von Noah’s Arche, ein schwerer Tisch zum dran festhalten und dicke Vorhänge die die Zeit aussperren. Die Illusion von einem festen Grund, einem Halt und der Möglichkeit, dass nichts vergeht, weil es ewig ist. Draußen wird das grau-rosa Dämmern zum orange-roten Morgenglühen, drin bleibt es dämmrig und das schwache Licht der vergilbten Esstischlampe schränkt das Blickfeld angenehm ein. Der Pfarrer stellt jedem einen Tee hin, wie kleine Jungen wärmen die Burschen ihre Finger, saugen den fruchtigen Duft auf und freuen sich über ein bisschen Wärme in der Leere. Zusammengebrochen sind sie dann ein paar Stunden später auf der Wache, der Max hat dem Beamten quer über die Tastatur gespiebn, der Jak ist einfach umkippt und der Seppi, der Seppi hat grad den letzten Satz erzählt – so treibt sie da wie tot. Also natürlich nicht so schön-geistig, auch wenn er ein Schöngeist war, der Seppi, brüllt der natürlich: wie tot! Verdammt Scheiße! Und ist tot! Einfach – der Rest geht unter in guturalem Zorn. Die Nacht verbringt er in der Arrestzelle, drei dicke Beamte in stinkenden Lederjacken haben sich auf ihn werfen müssen, bis er die Stehlampe loslassen hat mit der er das Fenster zerdeppert hat, nachdem der Monitor krachend auf dem Boden gelandet ist. Der Seppi ist eigentlich bloss aufgestanden um den Zorn, die Kraft, das Pulsieren irgendwohin zu lassen, hat bloss gebrüllt weil er noch da noch so voll war, so voller Liebe, Tränen, Glück, Blut, Freude, Kraft. Irgendwo musste er sich festhalten, der Monitor war halt das Nächste, die Knöchel sind weiß geworden, so fest hat er sich zitternd in den Bildschirm gekrallt. Dann hat der Monitor irgendwie das Gleichgewicht verloren, ist auf dem Boden aufgeschlagen und implodiert. He- sagt da der Polizist und steht auf. He- brüllt der Seppi. He- schreit da der Polizist und will ihn packen. He- brüllt da der Seppi nochmal, aber es kommt nur irgendwas wildes raus. Reißt sich los und haut das lustige grüne Stifthaltermännchen vom Tisch, fegt die Tastatur und die Schreibtischlampe hinterher, schubst den Beamten weg, packt sich die Stehlampe und das Fenster birst.

Die Nacht hat der Seppi in der Ausnüchterungszelle verbracht, bis auf die Hose und das T-Shirt nackt. Kein Handy, kein Gürtel, kein Bild, kein nichts damit nichts passiert in der Zelle. Er hat einen Kaffee gekriegt, gegen den Kater und dann, dann hat er gehen dürfen, einfach so. Leere Tage waren das, aber der Seppi hat sie gut aufgefüllt, mit Wut und Zorn und Brüllen. Und schweigen und starren und einfach dasitzen. Und heulen und zittern und sich schütteln. Und natürlich mit erzählen, erzählen was man nicht erzählen kann. Weil es im erzählen doch irgendwo eine Logik geben muss, Anfang, Ende, Dazwischen, Momente wie Perlen auf einem roten Faden, und wenn dir der schönste Moment runtergefallen ist? Dann versuchen die Leute trotzdem sie aufzufädeln, den roten Strang durch sie durch zu treiben, ja warum ist sie denn runtergefallen? Seppi, was ist denn passiert? Ich weiß es doch nicht, weiß es nicht, weiß – es – nicht. Wie sie ihn in die Ecke treiben, mit ihren fragenden Blicken, die Mama von der Steffi, wie sie leise schluchzt, der Franz, mir kannst du es ja sagen, der Pfarrer, ich bin der ich bin da, oder zumindest die Vertretung, saukomisch. Er würd ja gern was sagen und deshalb setzt er auch immer wieder an, auch wenn ihm jedesmal die Worte ausgehen und er brüllt. Er würde sich den roten Handlungsstrang ja gerne durch die Bauchdecke treiben, die rot-verschwitzte Steffi mit der er durch den Sommer gerockt ist und die rosa-blasse Steffi aus dem Muchagemälde verknüpfen. Ein blutiger Perlenrosenkranz, gegrüßet seist du Maria, voll der Gnade… Wenn er nur wüsste wie – so erzählt er und versucht er und schreit er und sucht er und weint er und wird dabei ganz leer. Nach zwei Wochen hat er nochmal auf die Wache müssen, nochmal eine Vernehmung, der Pisstest war positiv, aber gefunden haben sie nichts, weder bei ihm, dem Max oder Jak und auf den Karlo sind sie eh nicht gekommen. Warnschuss. Das gerichtsmedizinische Gutachten ist auch gekommen, ohne rote Fäden oder verlorene Perlen, schuld war keiner. Weder der Seppi, noch die Drogen, noch das Schwimmbad, schuld war nur ein Herz das ganz friedlich irgendwann einfach aufgehört hat zu pumpen. Wenn die Perle keinem runter gefallen ist, hat es sie dann nie gegeben? Ob er seiner Aussage noch was – der Seppi ist schon aufgestanden und öffnet die Tür. Geht raus auf den Gang, wenn keiner Schuld ist, was macht es dann noch für einen Sinn? Setzt langsam einen Fuss vor den anderen. Er blinzelt ein bisschen wie er die große Eingangstür aufmacht, draußen warten seine Eltern im alten Mercedes. Wenn keiner Schuld ist, hätte auch keiner was machen können. Er hat nicht einsteigen können, er hat in den Boden reingeschaut und ist vorbei.

Und dann kannst du ja nie was machen. Mit dem RVO ist er dann von der Stadt ins Dorf, an der Haltestelle neben der B12 hat der Karlo auf ihn gewartet. Und hinter dem dunklen Wald da gehen Schopenhauer und Nietzsche auf, der Eine, unser ganzes Leben leiden wir, und wenn wir nicht leiden, ist uns langweilig, der Andere, ja sagen zum Leben bedeutet ja sagen zum Leiden. Sie sind gleich in Richtung Baggersee los, was hast denn eigentlich vor? Na, was hast du denn vor? Bisserl Schwammerl, bisserl weg sein. Na, ich auch.

Fortsetzung und Ende, zumindest für diese Geschichte, folgt nächsten Freitag.

Ein Kommentar.

  1. Der blöde Seppi, Teil Vier-fallen/legen Am 20. November 2009 um 02:14 Uhr.

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