fallen/legen blog

Der blöde Seppi, Teil Vier

von Mario Wimmer

Teil Eins gibt’s hier, Teil Zwei gibt’s da, Teil Drei dort.

Ich merk nix, meint irgendwann der Karlo, ich geh. Der Seppi merkt auch nix, er bleibt hocken. Die Wolken schwer und grau, der Kies auch, bloß vom Regen ein bisschen dunkler und im Wasser spiegelt sich beides. Dazwischen, mehr zum Irdischen als zum Himmlischen orientiert treiben langsam Nebelfetzen. Man hört nichts, keine Kinder die nach mehr Eis schreien, keine Autos die Rennen fahren, nicht mal die Kirchenglocke schafft es durch den grauen Brei bis an den Baggersee. Grauer Brei, das bleibt über von deinem Hirn, wenn du dich mit den Schwammerln vertust. Aber schön warm ist’s, wie wenn dich deine Eltern in den Arm nehmen oder die -. Ja, oder die Steffi. Deine Eltern? Ja, im Internat hab ich grad einen Rhetorikkurs auf Englisch. Kommt später nur drauf an wie du dich verkaufst. Und das kannst dir kaufen, das Verkaufen. Gut, oder? Der Karlo, drogensüchtiger Zyniker vor dem Herrn. Langsam wird es ein bisschen warm, obwohl es nieselt und der graue Brei immer dicker und kälter wird. Irgendwo hinter der Kieswand steht der Bagger, altes, rostiges, gelbes Teil. Von oben wohl höher als von unten und vor dem Aufschlag ein paar Sekunden freier Fall. Sie sind da öfters runter, er in den geilen lila Shorts, die Steffi im weißen Badeanzug. Jeder auf einer Seite vom langen Ausleger, angrinsen, schreien, loslassen und dann in der Schwerelosigkeit ganz kurz fast einfrieren. Naja, Badeanzüge sind halt nicht zum Turmspringen gemacht, und zum Baggerspringen erst recht nicht. Jedes Mal ein Spaß bis alles an Ort und Stelle und sie wieder aus dem Wasser raus war.

Die Schwammerl hat der Karlo vom Tarek, der macht bei seinem Vater grad eine Ausbildung zum Automechaniker. Freilich nicht beim Karlo seinem Vater direkt, nicht vergessen, frühbayerische Exzellenzinitiative, sondern beim dicken Langer. Der Langer ist dick weil er erstens und paradoxerweise eher kurz als lang geraten ist, er zweitens zu Mittag und zum Feierabend und überhaupt gern einmal ein Bier trinkt und drittens, weil er sich als Meister nicht mehr unter die Autos wuchten muss, dafür hat er die Lehrbuam. Geholt hat der Tarek die Dinger aus Holland, mit seinem 3er. Bist ein ganz schöner Klischeetürke, Gel in die Haar, 3er BMW und den ganzen Tag nur Drogen dealen, hat der Karlo zu ihm gemeint und ihm hinter der Werkstatt drei 50er auf die Hand gezählt. Bist ein ganz schöner Klischeebayer, Gel in die Haar, 3er BMW und den ganzen Tag nur Drogen schmeißen, hat der Tarek geantwortet und ihm die Psillos und die Pillen rüber geschoben. Fick dich, hat der Karlo sich verabschiedet, fick dich, der Tarek geantwortet. Fast wie im Kindergarten, wo der Tarek vor gut fünfzehn Jahren plötzlich im Sandkasten vom Karlo aufgetaucht ist. Von jedem Schwammerl erstmal nur ein kleines Stück. Kann ja sein, dass der eine, der dich grad echt nur gelangweilt hat, so ein Eckensteherpilz war, und irgendwo im Schatten einer Wurzel einfach kein Psilocybin zusammen gekriegt hat. Aber der andere Schlawiner, der vor der Wurzel gewachsen ist, im warmen Sonnenlicht und feuchtem Moos, vielleicht auch noch gut gedüngt von Bambi, Klopfer oder einem Jogger, der hat die volle Dosis und der schmort dir dann die Sicherungen durch. Also erstmal immer nur ein kleines Stück, die Wirkung checken und dann feinjustieren. Ich bleib da, schreit er dem Karlo noch nach wie der den Kieshang raufklettert. Der Karlo hebt den Arm, grüßt und verschwindet hinter der Böschung.

Langsam wird es wieder kalt im Seppi drin. Also doch so ein halbes Hemd von einem Schwammerl. Er greift in die Tüte und sucht den von dem der Karlo vorher zwei Stückerl abgeschnitten hat, hängt nur noch einer dran, an dem Schwammerl. Sind das jetzt ein oder zwei? Also irgendwie sind so Pilze ja immer alle miteinander verbunden, der eigentliche Pilz kann sich unterirdisch kilometerweit ausdehnen, hat seine Biolehrerin erst letzte Woche referiert. Also müsste man jeden einzeln testen, aber die zwei da so direkt nebeneinander? Vielleicht doch ein Sonderfall, nochmal mit einem kleinen Stück drauf warten, dass nichts passiert? Na, Dreckswetter, Päärchenschwammerl und einer noch ein Eckensteher, die gehören zusammen und schon kaut der Seppi auf den beiden rum, spült mit ein bisschen Vodka nach, schmeckt deides zum kotzen. Nix, na klar, bist ja noch am kauen. Immer noch nichts, hast ja gerade erst runtergeschluckt. Ruhig auf den See schauen, gemächlich treiben die Schwaden dahin, der Seppi fröstelt ein bisschen. Kleine weiße Fetzen die da auf dem Wasser tanzen, während der See langsam seinen warmen Atem aushaucht. Wenn der Tag nur grau dahindämmert verlierst du jedes Gefühl für die Zeit. Nicht-Licht, Nicht-Zeit, Nicht-Raum, nur wohlige Wärme die in seinem Bauch zu kribbeln beginnt. Der Seppi steht auf, er schwitzt fast ein bisschen, naja, dann zieht er halt die Jacke aus und die Schuhe und die Hose, den Pullover und das T-Shirt, die Socken sind jetzt eh schon nass. Ohne es zu merken ist er ein paar Schritte auf das Wasser zugegangen, er steht schon bis zu den Knöcheln drin. In konzentrischen Kreisen schwappt das warme Wasser von seinen Füßen weg, fasziniert schaut der Seppi zu wie das graue Himmelsspiegelbild in Bewegung kommt. Die Zeit verläuft gleichzeitig in slow motion und auf fast forward, der Himmel reißt plötzlich auf, Donner zerfetzt die Wolken, treibt sie an den Horizont, gelb und vor blauem Himmel gleißend ergießt sich die Sonne in den See. Lässt tausend Sonnen auf den Wellen blitzen und mittendrin treibt der Seppi und es ist warm und geborgen und irgendwo läutet eine Kirchturmglocke dreimal. Und der Seppi schließt die Augen und die Sonne verblasst, schließt die Ohren und das Rauschen verstummt, schließt die Nase und der Seewasserduft verschwindet.

Der Seppi treibt mitten im See, toter Mann, alle Glieder von sich gestreckt. Ganz im Warmen sein, sich vom Wasser streicheln lassen. Der Seppi ist ein Teil vom See, ein Teil vom Nebel, ein Teil vom grauen Brei. Und mitten in dem grauen Brei, da pulsiert die Sonne, nehmen und geben, fressen und ausschütten, geschmolzenes Weiß, als Kugel hinter den Wolken wabernd. Und dann kann er die Steffi spüren, wie ihre Fingerkuppen leicht gegen seine stoßen, wie sich ihre Hände öffnen und ihre Finger verschränken. Bilder, Klänge, Gerüche alles rast auf den Seppi zu wie auf ein schwarzes Loch, tausendmal in ihm verdichtet zu einer wunderbare weißen Kakophonie der Gerüche, Klänge, Bilder. Ihre Hände öffnen sich wieder und jetzt gleiten ihre Unterarme aneinander vorbei, ganz leicht streicheln ihn ein paar Häärchen. Sie greift seine Schulter und er ihre, langsam drehen sich beide aufeinander zu. Sieben Monate, destilliert wie ein Obstler, und der Obstler der brennt. Er nimmt die Steffi in den Arm, genießt den Kopf an seiner Schulter, ihren Arm auf seinem Rücken, ihre Beine um seine Hüfte und zerläuft wie Wachs. Wie Wachs zerlaufen beide, befeuert vom geschmolzenen Weiß lösen sich ihre Körper langsam auf. Ein leichtes Ziehen und Nagen an allen Ecken und Ende, erst bilden sich kleine Hügel, dann Tropfen nur durch ein dünnes Band an den Rest gebunden und dann, dann löst sich der Tropfen, das Band wabert zurück und schlägt leichte Wellen auf seinem Arm. Tropfen um Tropfen löst sich von den beiden und gravitiert zum glühenden Weiß. Sie lösen sich, sie fressen sich auf, das Brennen löst sie auf, frisst sie auf, das Brennen frisst ihn, die Steffi auf und in dem Moment geht der Alptraum los und der Seppi will schreien. Aber seine Fratze bleibt stumm, stumm wabert seine Zunge an ihm Vorbei, ein pulsierender roter Klumpen. Er schaut ihr nach und schaut die Steffi an und die will auch schreien, aber ihre roten Lippen folgen den braunen Haaren, ein süßer Tropfen und zwei ängstliche Augen die ihn anstarren und dann, dann bildet sich auf ihrer Iris ein Hügel und der Seppi fängt an nur noch unscharf zu sehen und dann wird der Hügel zum Tropfen und dann wird es dunkel und still und leer. Und der Seppi ist allein in der Leere und nur der letzte Blick von der Steffi, der ist noch da. Leere Masse, grauer Brei und dann ist da wieder die weiß wabernde Kugel und verbrennt auch noch den Rest.

Gefunden hat den Seppi, weiß-blaue Haut, rote Striemen und blutige Fingernägel der Karlo. Vier Stunden ist er da im Wasser getrieben, warum der Kopf noch über Wasser war? Was weiß ich. Erst ist er ins Krankenhaus gekommen und wie sie dann gemerkt haben, dass der Schwammerl ernst gemacht und den ganzen grauen Brei verschmort hat auch erstmal noch auf die psychologische. Und wie der Seppi heimgekommen ist, seine Mama hat ihn auf dem Weg vom Mercedes ins Haus noch ein bisserl stützen müssen, da hat der Seppi plötzlich gelächelt. Weil, das Auto, da unten auf der B12, das war doch der Bully von der Steffi. Das ist die Steffi, Mama! hat er gelacht, gleich kommt’s auf den Hof. Die Mama hat ihm vorsichtig den guten roten Tee hingestellt und ihm mit der Hand über die Backe gestreichelt. Kommt’s vielleicht doch nicht, ist ja erst vier, die muss sicher nochmal zum arbeiten. Da hat ihn die Mama nur fest an sich gedrückt, erst hat der Seppi gedacht sie lacht auch, aber sie hat geweint. Der Seppi hat sie zum Trost ein bisschen zurückgedrückt, aber dann hat er es nicht mehr ausgehalten: Ich geh raus und wink ihr, bis nachher Mama. Und seitdem steht der Seppi da oben über der B12, lächelt und winkt runter zu den ganzen Autos die da fahren. Und den Vätern die Geschichten erzählen und den Kinder die neugierig lauschen, bis zum nächsten Überholmanöver, einer Herde Braungescheckter auf der grünen Wiese oder einem Streit um das letzte Maoam.

Ende, ich hoffe euch hats gefallen. Mir ist grad aufgefallen, dass die Geschichte ja eigentlich ganz anders geht, ich hoffe ihre hattet trotzdem Spass und irgendwann erzähl ich euch auch wie es wirklich war, nur jetzt grad nicht. Jetzt kommt erst einmal was Neues, lasst euch überraschen, am nächsten Freitag.

3 Kommentare!

  1. Jörn Am 21. November 2009 um 11:52 Uhr.

    Mario, Du bist unglaublich! Die Geschichte war wirklich anders als erwartet und hat sich vor mir und in mir gedreht und gewendet. Sehr wunderbar!

  2. Mario Wimmer Am 21. November 2009 um 23:25 Uhr.

    Vielen Dank, freut mich sehr .) wie gesagt, eigentlich geht die ja ganz anders, die Geschichte vom Seppi, aber das erzähl ich ein andermal, jetzt geht’s erstmal weiter im Programm. Nächster Freitag wird klasse, hoff ich 😀 .

  3. Bine Am 28. March 2010 um 23:45 Uhr.

    Ich bin begeistert und glaub, ich start mit dem Lesen gleich noch mal von vorn.