fallen/legen blog

Windhunde – Teil Drei

von Mario Wimmer

Teil 1 und Teil 2

Im Abstand von vielleicht einem halben Meter jagt Strauss hinter Brandt her, geifernd, schnappend, schnaubend, immer wieder arbeitet er sich heran und reißt das Maul auf – krachend schlagen seine Zähne aufeinander wenn er Mal um Mal Brandts Läufe verfehlt weil der gerade noch einen Satz macht oder selber nach hinten schnappt, so dass Strauss seine Schnauze zurückreißen muss. Wenn er nur weiter wie ein dummes Schaf in Richtung der alten Güllegrube läuft soll Strauss das recht sein. Die alte Güllegrube, ein Monstrum, gut 15 Meter im Durchmesser, vier Meter tief und senkrechte Wände. Drüber liegen ein paar morsche Latten und drin steht weit über hundekörperhoch das Brackwasser. Mit einem Sprung setzt Brandt über den niedirgen Kanninchenzaun der den Gemüsegarten vom Hof trennt und Strauss folgt ihm mit Leichtigkeit. Die lockere Erde stiebt unter den Hundeläufen in alle Richtungen davon, dünne Stützstangen splittern und zarte Halme knicken als die Hunde sich rücksichtslos ihren Weg durch das kleine Gärtchen bahnen. Panisch gackern die Hühner die über Nacht in dem kleinen Verschlag am Fuss des Gartens untergebracht sind. Die Hunde ignorieren sie und pflügen weiter durch die Bete, mit Leichtigkeit überspringen sie den Zaun der den Garten zur Wiese hin abschirmt und jagen in Richtung einer kleinen Lichtung im alten Obstbaumbestand: die Güllegrube.

Auf der Geraden müsste noch was gehen, neben den Tarek schafft er es auf jeden Fall, überholen kann wird er ihn zwar nicht, weil in der Endgeschwindigkeit geben sich die zwei nicht viel, aber der Tarek muss vor dem Kreisel früher bremsen. Jaulend jagen die beiden Fahrzeuge um die Kurve am Ortsausgang, dann liegt sie vor ihnen, die langezogene Linkskurve, den Hügel runter und unten die Gerade. Vielleicht einen knappen Kilometer vom Kurvenende bis zum Kreisel liegt sie da im stillen Schein einsamer Laternen, die ein erwartungsfreudiger Kommunalplaner zusammen mit einigen Alleebammerln an ihren Seiten gepflanzt hat. Gedämpft-gelb und heimelig, eine Strasse auf der im Sommer die Bua und Madl vom Badesee heimradeln werden, während Mücke um Mücke summend am Glas verdampft. Den Hügel runter Schwung holen, die Kurve am Maximum ausfahren, genervt umklammert die Marie die Schlaufe über der Beifahrertür. “Karlo! Ja, glei, ned jetzt…” Der Tarek ist über den Scheitelpunkt raus und drückt aufs Gas, der Karlo zieht hinterher. Nach der halben Strecke hat er ihn, der Tarek meint es nicht böse und bleibt rechts, der Karlo geht voll nach links. So jagen sie dahin, Windhunde mit grellfunkelnden Nebellichtzähnen, zwei, dreimal Blinzeln, ein Schnauben von der Marie, ein Hänger in der CD vom Tarek vielleicht, dann müssen sie bremsen, dann muss der Tarek bremsen.

Geräuschlos jagen sie dahin, das feuchte Gras raschelt nur ein wenig wenn die Hundepfoten sich kurz in ihm festkrallen um die Körper ihrer Besitzer weiter vorwärts zu treiben. Sie gelangen auf den Sandweg und auch hier bleibt ihr Sprint lautlos, einige Kiesel die unter den Pfoten wegkullern, ein wenig Sand der davonstäubt, und das Hecheln feuchter Hundekehlen, mehr dringt nicht in die graue Nacht. Im Hintergrund rascheln die schwarzen Obstbäume, knarzt das frische Holz des Stalles, brummen irgendwo zwei Automotoren und tragen die Aufmerksamkeit davon, bis die beiden Hunde die Grube erreichen und ihre Pfoten plötzlich auf die morschen Bretter trommeln. Zuerst Brandt und dann Strauss, sein dumpfes Echo, ihm bei jedem Sprung nachsetzend, schnappend, beißend, geifernd, bu-bumm, bu-bumm und dann endlich das Splittern morscher Bretter – Brandt reißt den Kopf herum, Strauss ist mit beiden Hinterläufen eingebrochen, krallt sich verzweifelt mit seinen Vorderläufen fest und wirft seinen schweren Körper in dem Versuch hin und her sich aus dem Loch zu hiefen. Der Geifer tropft ihm aus dem hechelnden Maul, die Anstrengung lässt sein Wutgeheul zum giftigen Gurgeln verkommen. Brandt dreht sich vollends um und macht einige vorsichtige Schritte in Richtung Strauss, der hebt den Kopf und Brandt beißt zu.

Ha, Jetzt bremst er! Brems! Bua, brems! Brems – jetzt! Mindestens zehn Meter zu spät, aber jetzt bremsen beide, dreschen das Pedal bis auf die Fussmatte und beten. Beten mit ihren Händen die verkrampft das Lenkrad umklammern, beten mit ihren Füßen die verzweifelt das Bremspedal von sich drücken, beten für das Glück der Dummen, Jungen, Übermütigen. Manchmal brauchst ein Glück, manchmal brauchst ein Glück! Jetzt greifen die Bremsen, das geht schon noch, jetzt blockieren die Räder, geht schon, geht schon, jetzt – jetzt ist die Fahrbahn nass. Vielleicht zwei Meter breit läuft seit heute Nachmittag ein Rinnsal über die Strasse. Der Graben hat keinen Namen, der Damm und die zwei Lausbuam die ihn gebaut haben auch nicht, aber auf vielleicht zwei Metern, da ist die Fahrbahn nass. Der Golf bricht zuerst aus, allerdings nicht all zu weit bevor er wuchtig in den Bordstein der Kreiselinsel kracht. Brutal entreißt der Granit dem Golf erst die schwarze Frontschürze, zerfetzt anschließend die Reifen und lässt schließlich ächzend die Achse brechen. Fast sanft setzt der Golf anschließend mit der Motorwanne auf dem gemulchten Hügel auf und schlittert einige Meter, bevor wieder abhebt. Und während der Tarek und sein Golf für einen Moment in der Luft verharren, donnert hinter ihnen der BMW mit dem Seppi und der Kathi in den harten Stein. Auch der verliert zuerst die Schürze, dann die Vorderreifen und die -achse, bevor er allerdings sanft in der Mulche aufsetzen kann fängt sich das linke Hinterrad an der Bordsteinkante und plötzlich schleuert der BMW das Heck nach oben und seinen Körper zur Seite. Statt sanft aufzusetzen wühlt sich seine Schnauze tief in die Erde, staucht und verdreht sich, bevor ihn der eigene Schwung weiter über den Hügel schleudert. Und wenn der letzte Moment in einem Leben tatsächlich wie in Zeitlupe ablaufen, wenn, Vorahnung auf die Ewigkeit, alles stillzustehen scheinen sollte, wenn man noch einmal über sein Leben nachsinnen oder sich umschauen könnte, dann wäre das dieser Moment. Dieser stille Moment in dem es scheint als würden der Golf und der BMW, die Mulchebrocken und Erdklumpen, Grasfetzen und Plastiksplitter, die Schwerkraft doch bezwingen und alles würde gut.

Beißt zu und packt Strauss am Nacken, rammt seine Zähne in das Fell und das Fleisch, Geifer und Schweiß mischt sich mit Blut, für einen Augenblick verstummt Strauss, dann reißt Brandt an. Zieht seinen Kopf nach oben und wirft seinen Körper mit aller Macht nach hinten, vor Schmerz und Wut jaulend setzt Strauss zur Gegenbewegung an, versteht erst im letzten Moment und zieht seinen Körper mit letzter Kraft in die gleiche Richtung. Die Latten beben und knirschen unter der Gewalt der beiden Hunde, als die beiden über sie kugeln, ein einziges Knäuel aus Fell, Geifer, Staub, Blut, Erde und Schweiß und erschöpft liegenbleiben. Im Bauernhof geht das Licht an, erst im Schlafzimmer, dann im Gang und schließlich auf der Tür raus zum Gemüsegarten: “Brandt? Brandt! Gehst du her! Her da! Brandt!!” Keiner der Hunde rührt sich bis das Geschrei verstummt, hier liegen keine Windhunde mehr, hier liegen zwei verdreckt Häufchen Elend die hechelnd nach Luft und Kühlung schnappen während ihnen der Schaum von den Leftzen tropft. Weiß dampfend steigt der Atem aus ihren Mäulern und der Schweiß von ihren Flanken, sie kauern, sie verharren, sie warten, auf den Moment in dem sie ihre Läufe wieder tragen, dann erheben sie sich still und unsicher wankend. Starren einander vor Anstrengung, Schmerz und Aufregung zitternd an. Strauss setzt zu einem grimmigen Knurren an – und bricht ab. Erschöpft schüttelt er sich Schweiß, Erde und Gras aus dem Fell und macht sich auf den Weg zurück zu seinem Hof. Müde und gespannt blickt Brandt ihm nach bis er über die Anhöhe verschwunden ist, bevor er sich zurück zu seinem Hof schleppt. Dunkel, leer und still liegt die B12 da, nur in der Ferne, da jaulen zwei Motoren.

Während der BMW sich wirbelnd überschlägt, mit jedem Teil seines Torso einmal aufsetzt, aus allen Richtungen bittere Schläge erhält, jaulend und kreischend nachgibt, segelt der Golf für lange Zeit still durch die Luft, bis er mittig ein Alleebamerl trifft. Ein Allebamerl vielleicht doppelt so dick wie die Stangen die es noch stützen, vielleicht auch dicker, wie ein Männerbein, das immer noch bremst vielleicht, ein dünnes Bammerl, das sich ein wenig biegt und dann die Motorhaube teilt, auch nicht bricht wenn es der Motorblock trifft, sich nur ein wenig neigt, bis der Schwung den Golf zur Seite dreht und drückt. Ihn in den Boden rammt und drückt, in quetscht und staucht. Beide Körper bohren sich in den Boden, knirschend splittert Glas, knallend birst Plastik und jaulend gibt Metall nach. Lichter die verlöschen, Karosserien die an vorgesehenen Punkten jede Form verlieren, Leitungen und Tanks die ächzend leckschlagen… ein letztes Zittern und Knirschen dann bleiben sie geschunden liegen, die beiden Windhunde. Unter ihnen mischt sich langsam die gelbliche Bremsflüssigkeit mit dem dicken Schwarz des Motoröls und dem flinken Rotton des Benzins. Funken, die schlagen und im leicht süßlichen Geruch des Benzindampfes versinken, um zu Feuerbällen zu wachsen. Die Druckwelle der Explosion lässt die jungen Alleebäume zittern, fetzt ihnen das dürre Laub von den Ästen und verbrennt es bevor es geschockt zu Boden taumeln kann. Glühende Glasscherben sausen sirrend durch die Luft während der Flammenball sich immer mehr Raum greift, greift, greift – und in sich zusammenfällt. Still glühen die versengten Grashalme, schmoren die Leitpfosten, lecken blau-orange Flammen über die Motorhaube – wobei, das ist kein Film, hier lecken keine Flammen,

– hier leckt nur Blut.

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