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Dazwischen.

von Florian Naumann

Dezember ’09: Die Horsefeathers aus Portland im oberbayerischen Rosenheim.

Rosenheim, liebe Leser, das ist so etwas, wie meine Heimat. Nicht ganz, aber fast. Ein unvoreingenommenes Bild von so einer Stadt zu haben, das ist zu schwer. Rosenheim, das verknüpft sich in meinem Kopf mit Mittelstadtmelancholie: Die nachts leeren Ausfallstraßen, die Ampeln darüber, der Bahnhof im Rückbau, das Gras zwischen den Gleisen, die Lücken zwischen den Häusern, und das Septemberbesäufnis, wenn man die Nähe zu Tirol spürt, den Schluchten, den Bergen, den Seen… den gilbenden Tapeten der überlebten Einfamilienhäuser in den Pendlersiedlungen. Nie war es jedenfalls: Eine Konzertstadt.

Am 2. Dezember 2009 steht eine Band von der amerikanischen Westküste auf der Bühne der alten Rosenheimer Asta-Kneipe. An einer um diese Uhrzeit leeren Verbindungsstraße, 300 Meter von dem zurückgebauten Bahnhof; nahe des Finanzamtes. Justin Ringle ist der Kopf der Horse Feathers. Ein Mann von eher kleinem Wuchs, schwindender Haarpracht, bekleidet mit einem Karohemd. Die Überlegung in welcher Art us-amerikanischem Einzelhandelsgeschäft ich ihn als Verkäufer erwarten würde, lässt mich eine Weile nicht los. Wenn er singt, singt er von der Seite in sein Mikrofon. Dann leuchtet das spärliche Haar rot im Scheinwerferlicht. Ein ganz normaler Kerl vom anderen Ende der Welt. Musiker. In der Stadt zwischen München, Salzburg und Innsbruck.

Seinen Kompagnon Peter Broderick hat Ringle in dessen Wahlheimat Kopenhagen zurückgelassen. Hinter ihm sitzt jetzt eine Begleitband: Banjo, Violine, Cello, ab und an die singende Säge; ein Glockenspiel wartet auf seinen Einsatz. Viel wird auf der Bühne an den Instrumenten gestimmt: „Because we care for you!“ stellt Ringle klar – „basst scho!“ antwortet das Publikum. Vielleicht 80 sind gekommen, füllen den Raum zu Genüge, lachen, jetzt. Später werden die Horse Feathers einen Song unverstärkt spielen: „cause we think it’s cosy here“. Nicht auszuschließen allerdings, dass sie das jeden Abend sagen.

Sind die Instrumente gestimmt, erwidert die Band Ringles fast vorsichtiges Gitarrenspiel mit Unter- und Überstrichen auf den dazu erfundenen Instrumenten, breit, perfekt und bescheiden, vorsichtig kinoesk klingt das aus der PA, High Fidelity, schwebt über dem nebligen Dezemberabend – wäre vielleicht lieber Untermalung für einen Sommerabend auf einer Veranda im mittleren Westen, oder einen Spaziergang durch fallende Blätter. Musik für Übergänge, wenn die nächste Etappe grüßt: Gerade jetzt liegt der Dezember aber flächig und definitiv über Oberbayern.

Die eingängigsten Songs werden ausdauernd gefeiert, Finch on Saturday, Mother’s Sick, Falling Through The Roof, „Bravo!“ ruft es da vom Fenstersims. Und später, als Ringle und seine Mitstreiter die Zugabe vor der Bühne, und ohne Mikrofone spielen, da klingt es immer noch makellos, aber nicht mehr nach dem orchestralen des PA- und des CD-Sounds der Band, sondern nach Kammer-Musik, und es ist ein Liebeslied, das Ringle singt, „…the smell of your hair“ ist die Phrase, die ganz klar in den hinteren Reihen ankommt. Und dann schließt sich der Kreis, dieses seltsame Treffen zwischen Portlandund einer beliebigen oberbayerischen Mittelstadt, wenn eine einzelne Stimme über eine einzelne Begegnung erzählt, vom anderen Ende der Welt, und die Geschichte selbst hier, zwischen Auer-Bräu und der B15 nach Landshut nicht anders verlaufen wäre. Weil doch der Geruch von Haar, ja, jedes einzelnen geliebten Schopfes, überall auf der Welt einzigartig ist.

Später, zwei Songs weiter in den Abend, gehen der Bands die geprobten Stücke aus, und vertröstend meint der Banjist Sam Cooper: Später, wenn man zusammen sitze und etwas betrunkener sei, könne man gerne etwas nochmal spielen – dazu kommt es nicht mehr, um halb eins unterhalten sich die Musiker vor der Asta auf der Straße, auf dem Weg in ihr Rosenheimer Hotel. – Gestern Gießen, morgen Karlsruhe – seltsame Tage müssen das sein. Die schöne Willkür der Begegnung in abgelegenen deutschen Städten.

Fotos: Florian

2 Kommentare!

  1. e. Am 3. December 2009 um 08:22 Uhr.

    schöner bericht!
    herzliche grüße aus dem klienicum!
    e.

  2. Clicky Overload Am 3. December 2009 um 10:45 Uhr.

    Ich kann mich dem Klienicum nur anschließen: schöner Bericht, wunderschönes Konzert.

    Beste Grüße,

    Clicky Overload