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Zur Lage der Generation

von Florian Naumann

Manchmal scheint es, als lebe die ganze kulturelle und mediale Welt Europas in einem Einheitsbrei: Wenn zwischen Tromsö und Brindisi beim Abendessen Two and Half Men kalauern, und die Yellow Press zwischen Lissabon und Wladiwostok immergleiche Säue mit anderen Namen durch das Dorf treibt. Und manchmal erhellt ein Blick in ein fremdes Feuilleton: Das dänische Blatt Information hat eine Beilage mit dem Titel Moderne Tider, Moderne Zeiten – und fragt sich dort, ganz philosophisch, Woche für Woche wie sich unser Ist konstutiert. In den Maiwochen dreht sich viel um die Jugend. Vielleicht also: Uns. Und die Frage, was wir anders machen als unsere Vorgänger. Oder: Ob wir überhaupt etwas tun.

Die dänische Titelzeile provoziert: “Farvel till oprøret” steht dort, Auf Wiedersehen Aufstand. Und darunter sitzen zwei Sprößlinge einer erfolgreichen Familie, die exakt die gleichen Berufe wie ihre Eltern ergriffen haben: Skandinavistik-Professor, Parlamentsabgeordnete. Die sagen: Es ist nichts falsches daran, das Gleiche zu tun, wie die eigenen Vorfahren. Alles andere sei: Mythos.

Das ist zunächst nichts anderes als eine singuläre Meinungsäußerung. Und man mag den Geschwistern Auken glauben oder nicht, dass sie in den Fußstapfen ihrer Eltern alles anders machen wollen. Womöglich dem Universitätsdozenten mehr, als der Abgeordneten, die in die gleiche Partei wie ihre Mutter eintrat. Aber: Eine Menge Zusatzinformation ist beigefügt. Bedenkenswert vor allem zwei Studien. Denen zufolge gilt zum einen: Denken und  Lebensentwürfe werden vererbt, was klappt wird beibehalten. Änderung kommt nur von außen. Und damit, glasklar: Unsere Generation nutzt ihre Möglichkeiten nicht.

Eine Generation von Bankangestellten?

Morten Smistrup ist Soziologe und so etwas wie Dänemarks „Landesstudienberater“ – er hat die Biografien und Identitäten dänischer Banker untersucht, und festgestellt: Die meisten von ihnen haben Vorbilder in der Familie. Sie treffen eine bewusste Wahl für eine funktionierende und bewährte Identität. Mehr als für eine Ausbildung oder einen Beruf. Daneben stellt Information unverbindlich eine weitere These: Der Ausbruch aus dem Milieu der Eltern ist eine historische, mehr denn eine persönliche Bewegung.

So sagt Johannes Andersen, ein Gesellschaftswissenschaftler der Universität Aalborg, die Umwälzungen der 68er hätten nicht auf einem neuen Mut oder Aufklärungsstufe der Protagonisten, sondern auf einer Änderung der Wirtschaftsverhältnisse beruht: Fabrik- und Landarbeiter wurden nicht länger benötigt, stattdessen verlangte die Wirtschaft nach Dienstleistungsangestellten. Erst der gewachsene Wohlstand macht(e) einen Bruch mit dem Leben der Eltern möglich und überhaupt denkbar. Vielleicht erzwang er ihn.

Im Umkehrschluss wird ein Phänomen unserer Gegenwart sehr plausibel: Das Rudern einer Generation der potenziell Überzähligen eines Arbeitsmarktes (also: aller) nach Lebensläufen und Qualifikationen. Wer würde wagen, das Ist in Frage zu stellen, wenn die perfekte Einfügung in die Kreisläufe als einzige Überlebensmöglichkeit scheint – und gleichzeitig die bekannten Lebensentwürfe als Rettungsanker noch zu funktionieren scheinen, sind sie denn erstmal erreicht? Gerade angesichts von Wirtschaftskrisen könnte sich also die historische Phase der unkritischen Banklebenslaufbiographienreproduktion noch verschärfen. Auch wenn sich die Lage im System immer weiter zuspitzt.

Bleibt alles wie es ist?

Hinzu kommt eine Beobachtung, die die Schreiber von Information genauso wie jeder deutsche Uni-Studienberater machen: Wir (und gerade die ersten Bachelor) haben alle Möglichkeiten. Bis hin zu abstrus spezialisierten Sonderstudiengängen. Und laufen sehr oft angstgelähmt und mit Scheuklappen hindurch. Da sei einerseits die neue erzieherische Freiheit der Post-68er und ihrer Kinder. Und andererseits die große Angst, es allen Recht machen zu müssen: Selbst-Verantwortung als zähmendes Motiv. Düstere Aussichten. Farväl Oprør. Keine Kraft zur Änderung. Und es läuft ja?

Gleichwohl – und das klingt bestenfalls in Nebensätzen des Features durch: Wenn das zweite Jahrzehnt unseres Jahrhunderts etwas nicht ist: Dann ist es das Ende des historischen Prozesses. Ähnlich wie Produktions-Arbeitsplätze in den 60ern sind heute viele Dienstleistungsberufe Auslaufmodelle. Nur: Uns fehlt die ökonomische Sicherheit und Ruhe, einfach etwas anderes zu probieren. Und die klare Alternativperspektive. Die Zukunft liegt nicht im nächst’höheren’ Sektor: Sondern in der Selbstorganisation des eigenen Lebens.

Der Tellerrand als Feind des Konservativismus

Früher oder später wird klar werden: Die Lebensweisen und Ideen unserer Eltern werden uns nicht über die Zeit retten. Sei es wegen der Selbst-Tot-Rationalisierung der Wirtschaft, ihrer Krisen, der Globalisierung oder des Klimawandels: Völlig egal. Irgendwann werden die allermeisten überflüssig sein, oder Sklaven der Erhaltung des Lebensentwurfs ihrer Eltern: “Geringfügig, befristet, raus”. Oder in der Lage sich selbst eine Aufgabe zu geben.

Wenn der Aufruhr also immer nur ein Mythos war – dann ist es jetzt Zeit für ein wenig Realität. Vielleicht nicht gegen die Leben unserer Eltern, sondern gegen den Entwurf, den eine ganze Gesellschaft (vielleicht noch nicht so lange, aber schon sehr überzeugend) tradiert: Das Leben als Erwerbsbiographie.

Auto-Nomie ist die Selbstwahl eines Zieles: Und ohne sie wird das Mitglied der arbeitsrationalisierten Gesellschaft nicht überleben können. Das wird der nächste Aufruhr, er wird mit Zwang kommen, und größer sein als die vorherigen, denn er liefert seine Alternativen nicht mit. Diesmal müssen wir selbst aussuchen. Prost Mahlzeit. Aber schön, dass wir zumindest zu Hause etwas Verantwortung gelernt haben. Auch wenn das für die Universitäten nicht mehr gilt.

Für beide, Individuum und Institution wird aber gelten: Wer früher begreift, wird weniger leiden: Choose your life. Not your biography.

Link: für alle des dänischen Mächtigen: “det store oprör er ny myte” @ information.dk

Titelfoto: Screenshot von information.dk

Die dänische Zeitung Information findet: Der große Aufruhr ist nur ein Mythos – Kinder hätten schließlich schon immer das getan, was ihre Eltern vorlebten. Sternstunden des Umbruchs gäbe es, wenn überhaupt, nur in ökonomischen Boom-Zeiten…

Und macht damit keine große Hoffnung auf bessere Zukünfte. Oder doch?

Ein Kommentar.

  1. Mario Wimmer Am 27. May 2010 um 19:04 Uhr.

    Sehr anregend zu lesen. Wenn auch ich a) anzweifeln möchte, dass dieser Druck und Zwang uns so schnell erreicht, schließlich machen wir, wie A. Köhler vor Kurzem dem Deutschlandradio mitteilte, wieder Interessenpolitik, wenn’s sein muss auch mit Kanonen(-booten) und b) noch viel mehr bezweifeln möchte, dass die breite Masse ™ plötzlich genau die Vielfalt und Unwägbarkeit für sich entdeckt, die sie die Jahrzehnte davor erfolgreich zu meiden gesucht hat.