fallen/legen blog

Windhunde – Teil Zwei

von Mario Wimmer

Teil 1 gibt es hier.

Na sauber, denkt der Karlo sich. Und jetzt? Raus gehen tut er sicher nicht, immer die gleiche Masche, wenn es ihr zu viel wird, wenn es ihr zu spät wird, wenn sich nicht alles um sie dreht, dann wird geheult. Und er, er hupft natürlich und tröstet, die Tränen sind dann ganz schnell trocknen, er ist da und alles ist gut. Klasse Abgang, Karlo, klasse Abgang mit deiner Alten. Jetzt steht er doch draußen, draußen vor der Tür, da hinten hockt’s, sein Häufchen Elend. Gibt garantiert wieder eine Blasenentzündung und dann wieder wochenlanges lamentieren und leiden. Richtig gut, Karlo. Und keinen – ein Krampf ist das mit der, aber mit der Moni wäre es sicher auch nicht anders, außerdem war der ihr Dekolletee heute mal wieder nur noch ordinär. Und ihr Bier lässt sie sich auch immer sauber von irgendjemandem zahlen. Was sagt er denn jetzt? Karlo, ganz großartig – dann halt halt dein blödes Maul du Arsch! – brüllend dreht er sich um und haut dem Michi ansatzlos die Faust ins Gesicht. Was muss der ihn auch drei Mal schief anlabern, der Depp. Spuckt er halt Blut, Drecksack der, will der der Lou was beweisen? Dann gehört’s ihm aber auch nicht anders, und noch eine, und noch eine. Beim letzten Schlag bevor der Michi zu Boden geht knackst irgendwas – dem Karlo seine Hand ist es nicht, das spürt er – naja dann hat er wenigstens morgen noch was von seiner vorlauten Bappn, fix. Ja, spuck nur, Arschloch. Karlo! Karlo! Lass sein. Der Tarek der sich breit vor ihn stellt, in den Arm nimmt und weg schiebt. Da schauts, ihr Lackaffen! Karlo! schubst ihn der Tarek weg, Jetzt, fahr ma, klar? Der Karlo spuckt aus, holt die Marie und steigt in seinen Audi.

Das Jaulen und Kläffen ist zu einem stillen Hecheln erstickt, Seite an Seite jagen die beiden struppigen Hunde durch den alten Obstgarten auf den G’schwendtnerhof zu. Schwer und mächtig liegt das schwarze Haupthaus auf dem grauen Hügel, breiten sich die Silos, der Stall und die Maschinenhalle über den breiten Rücken aus. Gespart haben sie vor guten 70 Jahren nicht die Brüder G’schwendtner, wie sie sich jeder seinen Hof auf einen der beiden Hügel haben bauen lassen. Der Johann auf der Seite, der Anderl auf der anderen. Verstanden hat die zwei keiner, dass sie nach dem Brand einen neuen Hof bauen, eh klar, dass jeder seinen eigenen Hof baut, freilich, aber grad gegenüber? Von klein auf haben sich die zwei bekriegt, geprügelt und geschlagen wie die Berserker. Egal welcher Anlass und ob der Große dem Kleinen oder umgekehrt, irgendwas war immer und wenn dann noch kein Blut geflossen ist dann sicher nachdem sie der Vater erwischt hat. Bei jedem Satz fliegt den Hunden der Geifer in weißen Fetzen von den Leftzen, reißen sich kalte Schweißtropfen von ihrem Rücken los, immer wieder schnappen die beiden wütend nacheinander. Erinnern tut sich daran kein Mensch mehr, nicht an den Brand, den Vater, die Lisbeth, den Stachus, nicht an den Johann und den Anderl. Nicht an die Kattl wegen der sich die zwei beim Wirt fast abgestochen hätten, nicht an den Wirt, den falschen Nazi, der die zwei mit seinem feigen Lynchkommando später durch die Donauauen gejagt hat. Angeblich hat der Anderl nach dem Johann gebrüllt bevor sie ihn aufgehängt haben. Kein Mensch erinnert sich dran, nur die zwei Hunde die spüren sie noch, die Konkurrenz, den Ehrgeiz und die Sturheit.

Mit aller Gewalt knallt der Karlo den Rückwärtsgang rein, links und rechts spritzt der Kies wie er mit durchdrehenden Reifen zurücksetzt. An der Ausfahrt zur Bundesstraße wartet dem Tarek sein Golf schon mit glühenden Augen und grummelndem Gas. Knirschend rutscht die Schnauze des Audi in die Gerade, er schaut die Marie an, die starrt grantig zurück. Krieg dich ein Karlo, den Machoscheißdreck kannst dir echt sparen, hättest lieber Mal mir und nicht der ordinären Presswurscht ein Bier gezahlt, hmmm? Ich find’s ja gut, dass du dich um mich kümmerst aber, dass es bei euch Burschen immer in saublöde Machospielchen umschlagen muss… Was soll denn der Michi morgen in der Arbeit machen? Mit einer dunklen Sonnenbrille kann er den alten Trudscherln in der Bank ja schlecht eine private Altersvorsorge einreden, mit dem Feilchen aber sicher auch nicht. Der Karlo sagt nix, dreht den Techno auf, kuppelt, und jagt mit durchdrehenden Reifen runter zum Tarek. Fenster auf und schreit: He Türk, hast überhaupt schon einen Führerschein? Dich rauch ich in meiner Wasserpfeife, Bauernbua, lacht der Tarek und zieht ihm davon. Weit kommt er nicht, denkt der Karlo sich, ich hab mehr PS und zieht hinterher. Wie die Windhunde, glühende Augen und bellende Auspuffrohre, auf schwarzen Bundesstrassen, durch niederbayrisches Grau, irgendwo, zwischen Tag und Nacht. Mann, Karlo! Zefix, hast du mir überhaupt zugehört, was soll denn das Gerase jetzt? Dann legst deine Hand auch nicht da rüber, mit der kannst schalten oder sonst was machen, aber ich hab da jetzt echt keinen Bock drauf, auf deine scheiß Alphanummer, ich will jetzt heim. Na, da kommen wir bei der Tour eh vorbei, meint der Karlo drauf und lacht.

Mit brachialer Gewalt bricht auch Brandt durch das kleine Gebüsch das die Obstwiese vom Hof trennt und jagt über den Kiesplatz. Haus, Silos, Stall – Wände an drei Seiten und hinter ihm Strauß, er wirbelt herum. Und wieder umtanzen die beiden einander, kein Bellen, kein Kläffen, nur Hecheln und schnappen und knurren, der Kuhstall ist groß und modern und – offen. Mit einem Satz ist Brandt durch das Tor, Strauß schnappt ins Leere, Zähne knirschen, wütend aufheulend setzt er Brandt nach. Kläffend, schnappend, geifernd jagen die beiden struppigen Keile durch den langen Gang zwischen den Gattern. Nervös trappeln die Kühe in der Dunkelheit, schieben und drängen ihre runden Körper gegen das matte Metall, glotzen ängstlich mit ihren großen, glasigen Glubschaugen. Knapp hintereinander jagen die beiden auf das helle grau des hinteren Tors zu. Brandt voraus, Strauß um einen halben Körperlänge nach hinten versetzt. Unvermittelt macht Brandt einen Satz nach vorn, Strauß reagiert zu spät, sein rechter Vorderlauf fängt sich im Viehgitter, er strauchelt, fällt und überschlägt sich aus vollen Lauf. Nach dem dritten Überschlag fängt er sich auf allen Vieren, das Fell wild zerzaust, voller Staub und Stroh, donnernd bellt er Brandt hinterher, ängstlich muht eine Kuh, Strauß knurrt wütend, im Dunkeln glitzern weiße Zähne, in Panik fällt die Herde ein. Straußs Knurren steigert sich bis zum Bellen, die Kühe brüllen und trampeln, eine Kakophonie der Panik und Wut die den Stall bis unter die Holzdecke füllt. Bis Strauß verstummt, Brandt fixiert der ihn einige Meter entfernt mustert und ihm schließlich wieder nachsetzt. Am Stall entlang und durch das kurze Gebüsch an den Silos vorbei, er ahnt bereits wohin Brandt ihn führt.

Man merkt ihr die lange Nacht schon ein bisschen an, da wo sich im Mundwinkel beim Lachen die Falten bilden hat das Make-Up angefangen ein bisschen zu bröseln. Am liebsten würde er rüber langen und ihr über die Wange streichen. Oder vielleicht einfach den Kragen von ihrer Bluse wieder umknicken. Er legt seine Hand auf den Schaltkauf, wechselt blitzschnell von der Bremse zur Kupplung, drischt sie bis aufs Bodenblech, schält in den sechsten Gang, jetzt berührt sein kleiner Finger ihren Oberschenkel genau da wo sich ihr blasser Jeansrock und die dicke, schwarze Strumpfhose treffen, lässt die Kupplung hoch schnalzen und tritt stattdessen das Gas wieder voll durch. Der Motor jault und jagt den Audi weiter nach vorne. Der Karlo lässt seine Hand auf dem Schalthebel, sie zieht ihr Bein nicht weg. Im Rückspiegel schlingert der Golf ein wenig und fängt sich wieder, in der Rechtskurve beim Mosner hat er ihn einfach rausgeschnitten, den Tarek, keine Chance mit den alten Bremsen. Abgehackt dröhnt der Subwover noch über das Röhren der Endrohre weg, das Nummerschild klappert im Takt mit dem Bass, da gehört morgen nach der Arbeit noch ein Schaumstoff rein. Nix geileres wie Auto, Techno, Mädel und hinter den Hügeln da lauert die Sonne. Apropos lauern, gleich im Ort, hinter der Ersatzpflanzung beim Wirt da lauert ein Blitzer. Und da der Tarek viel weniger Punkte hat und er die Karre für die Ausbildung braucht, wird der ihn da wohl kriegen, aber nicht ohne Kampf. Die leuchtenden Xeon-Augen in seinem Rückspiegel werden langsam nervös, der Tarek beginnt von links nach rechts zu schlenkern, links, rechts, links, rechts, der Karlo geht langsam mit. Hinter dem Ortsschild, da muss er bremsen, kurz vor dem Wirt ist eine kleine Verkehrsinsel, da wird es der Tarek probieren. Links, rechts, links, rechts, weiß glühen die Augen in seinem Rückspiegel, links, rechts, links, da ist die Insel, der Rückspiegel wird weiß, der Drecksack hat aufgeblendet, also rechts, rechts! Nein, links, zefix, da zieht der Tarek vorbei, nimmt die vollen 70 oder 80 mit auf die Gerade und setzt sich gut ab. Fix, fix, fix, den kriegt er wieder, draußen vor dem Kreisel.

Teil 3 folgt dann nächste oder übernächste Woche, mal schauen wie es läuft, grad ein bisschen stressig.

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