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Uni brennt V: Der große Traum, die nächsten Schritte.

von Florian Naumann

Von Anfang an war diese Zweiteilung, oder: Die Mehr-ebenen-haftigkeit der Studierendenproteste zu spüren. Zuerst greifbar ist die Kritik an den gröbsten Missständen. Jenem Teil, der von den Realisten der Bewegung als “massenkompatibel” erkannt, und zur Studierendenmobilisierung auf die Fahnen geschrieben wird: Der Protest gegen Studiengebühren, gegen Unterfinanzierung der Universitäten, gegen übervolle Stundenpläne der Bachelorstudiengänge. Die Forderungspapiere zu diesen Problemen liegen nun bei den Ministerien. Ein wenig analysierend könnte man sagen: Es handelt sich hier um die Bekämpfung der Symptome eines größeren Problems. Dass diese behoben werden müssen, liegt für (fast) alle Lernenden auf der Hand.

Dann ist da jener Part der Kritik, der kontroverser ist. Der da und dort im Sinne der “Mehrheitsfähigkeit” (vielleicht zu diesem Zwecke sinnvollerweise) aus manchen Papieren verschwunden ist. Da und dort, wo Pragmatiker am Werk waren (wie z.B. bei der Besetzung der Außenstelle der TU München in Weihenstephan) gar nicht erst auftauchte: Das ist der Komplex der Kritik an der “Ökonomisierung”, an der “Verschulung” des Studiums, und der vielleicht implizit die ganze Zeit schon tiefer greift: Die Forderung Studierende nicht als auszubildendes Material für die Wirtschaft zu sehen, und stattdessen freie Studiengestaltung zuzulassen, und Bildung in menschen-bildendem Sinne. Bildung nicht als Standortlogik zu sehen, sondern als Selbstzweck. Denn dieser besagt im Kern: Es stimmt etwas mit unserem Menschenbild nicht. Oft werden diese Forderungen als “links” abgetan – eigentlich kein besonders schlüssiger Standpunkt. Greift doch diese Idee wesentlich weiter, als die Umverteilung, mit der linke Parteien und Gruppierungen seit Karl Marx vor allem hantierten. Eher eine humanistische, als eine “linke” Forderung. Gleichwohl sie der “rechten”, der “wirtschaftlichen” Logik opponiert.

Der erste Themenkomplex, die Behandlung der Symptome, braucht tatsächlich vor allem eins: Die ganze Masse der Betroffenen als mobilisierte Protestierer. Bis diese erste Reihe der Notfallbekämpfungsmaßnahmen mit Macht durch die Parlamente gedrückt wurde. Dazu wird es schon ausreichend langen Atem brauchen. Dazu muss der Protest weiter in der Breite wachsen. – Das wird schwierig genug werden. Die deutschen Volksparteien sind nicht erst seit Helmut Kohl Profis im “aussitzen” von Problemen. Aber: Unrealistisch ist es nicht, bis dorthin Aktionen und Besetzungen fortzuführen.

Gleichzeitig muss der Plan der Weiterdenken weitergreifen. Die Idee ist groß – aber nicht utopisch… – es geht um einen selbsterteilten “Bildungsauftrag”. Gewissermaßen. Zu spüren und wahrzunehmen ist dieser Standpunkt oft, in den Diskussionen in kleineren und größeren Gruppen in den Plena: Dass der Mensch an sich eine zu kleine Rolle spielt im Bildungssystem, und weiter gedacht: Auch im Großen und Ganzen unserer Gesellschaft. Zu artikulieren ist er aber offensichtlich schwer: Schnell klingt das philosophisch, verschwurbelt. Kaum mitreißend.

Dabei treffen sich an dieser Stelle die Fäden vieler aktueller gesellschaftspolitischer Diskurse: Die Probleme der Manager mit dem Burn-Out-Syndrom genauso, wie die der sich dopenden mittleren Angestellten, wie die der “Working Poor” mit den vier Nebenjobs. Das Bild des Wirtschaftsministers, der empfahl nicht einmal für sich selbst, sondern für die Wirtschaft zu konsumieren. Der Angestellten, die trotz Rekordprofit von ihren aktiennotierten Unternehmen entlassen wurden – und irgendwo sogar der Nationaltorhüter, die mit dem Leistungsdruck nicht mehr fertigwerden. – Es ist kein abseitiges Thema mehr, keines für “Radikale”: Diese Konglomerat aus Problemen bringt die Süddeutsche Zeitung schon einmal dazu, in ihrer Wochenendbeilage auf einer Doppelseite den Sinn und Unsinn und Status von Arbeit in unserer Gesellschaft zu hinterfragen. Ist es nicht seltsam, gerade jetzt, wo die Arbeit knapp wird, den Menschen umso mehr auf konkrete Aufgabenerfüllung hinauszubilden? Gerade jetzt braucht es ein anderes Denken, um grobe Verwerfungen zu vermeiden.

Dass man so zufällig geradewegs aus vielen Richtungen auf den gleichen Missstand stößt kann kaum Zufall sein, und dass der Protest sich von einer (unerwarteten) Seite zumindest ein wenig institutionalisiert, ist eine Chance. Und hier ist die Aufgabe der kritischeren Unibesetzer während des Wartens auf Besserung der Symptome: Ideen formulieren und verbreiten, in die Gesellschaft tragen, und Gruppen formieren, die noch lange später weiterdenken werden. Wenigstens ein lauteres Nachdenken in der Gesellschaft anstoßen. Das Bild schärft sich auch dort schon jetzt.

Als Grundthema für die Reden der nächsten Münchner Bildungsstreikdemonstration wurde etwas hochtrabend das Thema “I have a dream” ausgerufen. Aber bitte, hier ist er: Das gute Menschenleben, das Zweck in sich ist, und nicht Zeitressource für die Aufrechterhaltung eigenlogischer wirtschaftlicher Prozesse. Das klingt seltsamerweise ebenso selbstverständlich wie krass – und könnte die Idee sein, die den politischen Ist-Zustand abseits simpler Rechts-Links-Strukturen angreift. So weit, so simpel. Tief Luft holen.

Titelbild: sfisches unter creative commons-Lizenz (via flickr)

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