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Uni brennt II: Ein Platz zu reden – für alle.

von Florian Naumann

Zwei Wochen nach Beginn der Wiener Uni-Besetzung weitet sich die Bewegung hier immer noch aus, dort verfestigt sie sich: München, Tübingen, Turin, und mittlerweile tausende Sympathisanten auf den Wiener Demonstrationen. Und ganz abgesehen von den konkreten bildungspolitischen Zielen des Protests und der gesellschaftlichen Botschaft haben die Ereignisse eine weitere Bedeutung: Politisches Reden und Denken findet einen festen Platz abseits der Stammtische und den notwendigkeitsgebundenen Vordenkereien der Leitartikel: Politik ist in den Besetzungsstädten etwas, was regelmäßig, ausdauernd, im Ergebnis offen und für alle zugänglich diskutiert wird.

Das Frustrierende, ja, sogar Erstickende an der politischen Lage in Mitteleuropa ist schließlich nicht nur die unwidersprochene, wirtschaftsfixierte Grundhaltung der öffentlich “akzeptablen” Diskussion – sondern auch, dass gesamtgesellschaftliche Überlegungen für den Einzelnen so zäh und utopisch scheinen: Man seufzt am Kneipentisch mit Freunden, und steht doch – selbst wenn man sich selbst auf den kleinsten, also mainstreamfähigen Nenner herunterhandelte – einer grauen, unüberwindlichen Masse gegenüber. Der erkannte Missstand, das scheint als etwas, das man nur über unsagbar ermüdende Wege, verpuffende Eingaben an Abgeordnete, oder gar den zermürbenden Ellbogenkampf durch die Wettbewerbsstrukturen einer Bundestagspartei erreichen kann – selbst, wenn es mehr als wahrscheinlich scheint, dass dort drüben, in anderen Kneipen, anderen Küchen, anderen Spazierwegen andere Grüppchen die gleichen Befürchtungen durchleiden.

Woher dieser Funke in Wien, dann in ganz Österreich kam, das wird nicht einfach zu ergründen sein – aber für dieses im Voraus ermüdende Gefühl der Chancenlosigkeit und Isoliertheit sind die Plena und Diskussionen, die Demonstrationen und Arbeitskreise in den Unis (potenziell) ein satter, krachender Schlag. In München sind es – je nach Uhrzeit – erst zwischen 50 und 400 Menschen, die täglich beisammensitzen und Ideen und Bedenken wälzen. Trotzdem sind diese Runden schon jetzt ein Erlebnis. Denn: Teilnehmen kann jeder, jederzeit hinzustoßen, jederzeit sich zu Wort melden, und selber Hand an die öffentlich sichtbaren Aktionen legen. Und nicht nur Studierende, sondern auch Schüler, Lehrer, vereinzelt auch Arbeitende, Arbeitslose sitzen in diesen offenen Hörsälen.

Viel profitieren die Besetzer dabei doch noch einmal von den Errungenschaften ihrer oft gescholtenen Vorgänger aus 68 (und ja, tatsächlich 40 Jahre her ist diese Bewegung schon): Man weiß, wie ein Plenum und ein Protest organisiert werden kann, ganz ohne Institutionen und Amtsträger: Ein wechselnder Haufen Eigen-Motivierter sitzt da beisammen, und bietet Rederecht für jeden, und die nötige Arbeitskraft, den ersprochenen Konsens in Flugblätter, Spruchbänder und Forderungen zu übersetzen und auch kleine Punkte zu justieren. Fast mutet es schon wunderlich an, dass eine Gruppe ohne Vorstand und Büro so funktionieren kann – nicht reibungslos, aber tatkräftig. Und: Es braucht kein Heraufarbeiten durch verkrustete Strukturen, keine Probezeit und keine Connections. Und keine Zufallsbegegnungen für eine fruchtbare Diskussion: Politik hat in den Plena ihren festen täglichen Platz, sie ist jederzeit zu finden.

Dazu kommen in den besetzten Unis die Vorteile eines ernsthaft frei nutzbaren Raumes: Platz für selbstgewählt organisierte Vorträge und Konzerte, für alternative Ideen – wie jenen “Laden”, der in der Münchner Akademie für Künste im Vestibül eröffnet: In dem jeder einfach ablegt und mitnimmt was er gebrauchen und nicht mehr gebrauchen kann. Für Konzerte und Vorträge in offenen Räumen.

Im Gespräch über den Sinn der Protestaktionen hat ein Student der Münchner Akademie am zweiten Tag der Besetzung etwas wichtiges festgehalten: Selbst falls keines der Ziele in die politische Realität Einzug finden sollte – so haben alle Beteiligten immer noch etwas erlebt: Dass es noch mehr Andersdenkende gibt, Räume zur Diskussion. Ein “Mehrsehen” durch Diskussion, und die gemeinschaftliche Kraft etwas “Anderes” auf die Beine zu stellen: “Politisiert” würden die Teilnehmer, sagte dieser Student, und trifft damit genau einen zweiten Knackpunkt: Politik, das ist nicht der ermüdende Aufstiegskampf durch die Gremien, und die Aushandlung des vorbestimmten Kompromisses, sondern das freie Denken, das freie Reden, das Gestalten und das Anderserleben. Und Politik, das kommt nun zurück in die Städte. Auch wenn ihre Räume noch klein sind – wenn ihr Bedarf in den Köpfen ankommt, ist eine halbe Welt gewonnen.

Link: Akademiebesetzung München | Forderungen der Münchner Uni-Besetzer

Titelbild: Offizieller Besetzungsbeginn in der Akademie der Künste am 5.11.

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