fallen/legen blog
Schon im Juni gab es in Deutschland einen Bildungsstreik. Der war nicht unnütz und auch nicht erfolglos, tatsächlich wurde die Politik zum Reden gedrängt. Aber was er in seiner Außenwirkung war: Eine eher zähe Sache. Zumindest in München: Kostenlose Bildung, weniger Studieninhalte für die überfrachteten Bachelorstudiengänge. Sinnvolle Forderungen – aber sicher für die Öffentlichkeit und die Parteiprofessionellen nicht mehr als der tägliche Ruf einer Interessensgruppe nach mehr Mitteln aus klammen Kassen. Und für die Streikenden ein ernüchternd visionsloses Programm.
Letzten Endes hat die deutsche Politik es aber geschafft: Es bewegt sich etwas. Wenn auch nicht ganz wie gewünscht: Durch striktere Studienplatzbegrenzungen schwappten in den letzten Semestern tausende deutsche Studenten zum gleichsprachigen Nachbarn Österreich – dort nervten dann nicht nur der Bachelorstudienpläne, sondern auch die überfüllten Hörsäle. Und nun, unter diesem Frust, ist etwas wunderbares passiert: Österreichs Studenten und Dozenten haben sich aufgerafft und die Stimme erhoben. An ihren (vielleicht ähnlich den deutschen sehr trägen) Studentenvertretungen vorbei in freier Initiative Kundgebungen und Besetzungen organisiert, samt Schaffung von Raum für die tatsächlich konstruktive Diskussion – und bis zu AKs, die eigenverantwortlich die Versorgung der Streikenden übernehmen.
Und das Ergebnis der ersten Woche Besetzung – die an den deutschen Medien so spurlos vorüber gingen – ist unter anderem ein Diskussionspapier der österreichischen Lehrenden, dass das ganze Brimborium tatsächlich lohnt. Kein ’68 für Konsumegoisten, sondern eine Idee: Den Lernenden wieder als Individuum mit einem Eigenwert zu erkennen, der größer als seine Ressourcenmenge für die Wirtschaft ist. Das ist die grandiose zentrale Forderung. Und trifft damit so nebenbei einen Nerv der Zeit:
Müssen wir wirklich noch unsere Leben nach einer zugedachten Rolle in der Maschinerie ausrichten? (Gar zu offenbar wurde es aber auch, dass ein bolognareformiertes Studium mit seinen Attributen – praxisnähe – Schnelligkeit – Spezialisierung – Effizienz nicht mehr einem selbstbestimmten Lernen, sondern der Fertigung eines möglichst schnell auszehrbaren Produktes diente.) Nicht umsonst klagen Studienberater über die fast angstvollen Lebenslaufoptimierungsversuche und Zweck-Studienwahlen ihrer Klienten – wir wollen es nicht allen recht machen, sondern nur uns für den Markt. Das ist der ganze, große Plan in den Studiengängen der Großstädte.
Und wir mitten drin. Können wir uns das tatsächlich leisten, unsere eigene persönliche Entwicklung (uns!) für die Hindrillung auf einen übermorgen verschwundenen Tagesjob dranzugeben? Und kann es sich eine Gesellschaft leisten, die wahrscheinlich sehr vielfältigen Talente ihrer Mitglieder zu ignorieren, um den Wirtschaftsbedarf zu decken? Und statt Eigenverantwortung und Wissenssuche das effiziente Umgehen offizieller Regelungen als Hauptmethodik zu lehren? All das wird nicht heute zum ersten Mal beklagt – aber zum ersten Mal stellt jemand die unbezwingbare Macht der EU-Verordnung in Frage. Denn auch die ist, auf der falschen Prämisse geschrieben, einfach: Falsch. Und: Veränderbar. Man muss nur anfangen.
Die wahrscheinlich zu Unrecht fast vergessene philosophische Strömung der Frankfurter Schule hatte, frei nach Axel Honneth zusammengefasst, folgendes Prinzip als sozial gesund erkannt: Rational ein gesellschaftliches Ziel zu erkennen, bei dessen Verwirklichung sich die Gesellschaftsmitglieder in der Kooperation selbst verwirklichen können. – Wir haben nicht nur das Ziel aus den Augen verloren (oder kann es, rational betrachtet, wirklich die Erschaffung von immer mehr Material für die immergleichen Menschengruppen sein?), als auch die Kooperation vernachlässigt, und die Selbstverwirklichung drangegeben. Den Lernenden lebenslang als Zweck, nicht als Verbrauchsgut zu sehen, und entsprechend zu behandeln ist ein Schritt in die Gegenrichtung – und ein gar nicht so kleiner Schlag gegen die scheinbar unveränderlichen Anforderungen der Gegenwart. Durch die aktive und mächtige Infragestellung des Prinzips, das hinter der Bologna-Reform steht. Und später vielleicht durch die anderen Menschen, die ein verändertes Bildungssystem verlassen können. Die mehr Denker und Veränderer als effiziente Selbstoptimierer sind.
Deswegen: Lohnt es sich jetzt mitzumachen. Denn es geht um mehr als 500 Euro auf dem eigenen Girokonto. Wann tat es das das letzte Mal?
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Titelfoto: unsereunis.at