fallen/legen blog
…soweit sind sich die Kommentatoren einig: In Jahr #10 (und doch eigentlich auch schon #9 und 8 ) ihres Bestehens wurde die alte Liebe Immergut-Festival auf ihre alten Tage etwas konservativ. Gar nicht im Merkel-Wulff’schen Sinne – eher, dass das Bewährte gar so gut funktionierte: Tomte und Kettcar auf der Hauptbühne und dazu ein bisschen Kanada-Indie-Kollektiv. Und der alte Held Kemper (das Booker-Urgestein des Festivals) lamentierte noch ein wenig über Gagenprobleme mit den jungen Bands, und das trend-dezentralisierte Business und übergab dann das Zepter mit Würde.
…und nun, Lebensjahrzehnt 2. Neue Menschen am Ruder. Alles ein wenig anders. Nur ein wenig. Im Süden steht eine neue Bühne. Auf der auch gelesen wird. Eher harmloses. Fischgedichte. Mhh. Und akustisches gespielt. Eher harmlos. Ausnahmen wie William Fitzsimmons, Talking To Turtles, Norman Palm bestätigen die Regel. Und gehen im übersteuerten Bassgewitter des Minizelts hoffnungslos unter. Ein Jammer.
Freitagsabends um viertel vor zehn ist es im Mai fast dunkel im weiten Raum der Mecklenburger Seenplatte. Erst das zweite Konzert des Tages auf der vernachlässigten Zeltbühne, und dunkelblaues Licht schimmert verräterisch mondhaft durch die weiße Plane über den Köpfen. Und auf den Holzplanken des Bühnenaufbaus werden jetzt zwei Gitarren und ein wuchtiger Bass zu einem sacht Fahrt aufnehmenden Strang geflochten. Regungslosigkeit in den Musikerkörpern. Schritt vor Schritt zurück, sonst Reibung mit dem Laufschritt der Musik. Minutenlang wort- und gesangloser Aufbau, schon mal einen Arm in die Luft reißen. Schlagzeugcrescendo. In den Gitarren die hallenden Endorphine der Major-Akkorde, und dann…
…interessantes gab es da schon zu sehen. Keine große Namen dieses Jahr, kein Tocotronic, keine überseeischen Indie-Helden. Aber bei Two Door Cinema Club nachhören, ob im geschickten Clubtanzschritt denn etwas authentisches Joy Division-Flair schwirrt, oder eher die nächste popkulturelle Brechung der The Wombats-Zitat-Methode: “Let’s dance to joy division and celebrate the irony”. Eher zweiteres. Oder ob Bonaparte irgendwo den politischen Ansatz im Slogan “Anti Anti” versteckt haben, oder… naja. Eher zweiteres.
…ein schottischer Schritt zum Mikrofon, und mit dem schweren nordischen Akzent verwunderlich fröhlich klingen, etwas erstaunt vielleicht: “The chances of being born are so slim, so keep warm, keep warm. And take some heart in being born quite so young”. Und nun die Stimmen hoch, und die Blicke zum Zeltdach. Draußen dämmert es, die Lichter flackern durch die Nacht. Die Musik nistet im Magen. The chances of being happy are so slim. Aber jetzt!
…nicht, dass alles im Wohlfühlbereich der Indie-Lounge schwimmen würde. Von wüstem, ja wüstestem Pogo berichten leicht verwundete Zeugen des Turbostaat-Auftritts. Nicht überliefert ist, ob wieder die berühmte Rektal-Rakete gezündet wurde. Und FM Belfast im Zelt wummern mit ihren fanatischen Discobässen so heftig, dass das Bier im Freien in den Gläsern schwappt und die Isomatten auf dem Zeltplatz erzittern. Hilflos fragt sich der Rezensent des Rolling Stone, ob das denn nun ernst gemeint war. Nunja: Show. So oder so.
…und dann wird es dunkel, die Bühnenlichter leuchten etwas kräftiger. Die Schritte des Sängers mit dem glaswegischen Bierbauchansatz werden etwas weiter. Puberfahrungen, zwischenmenschliche: “Your silence is bearable. But only in short bursts. Then it becomes uncomfortable.” Und während das Schlagzeug wirbelt, wird aus dem verflochtenen Melodiezopf der Gitarren ein kratzendes Stoßen ohne Puffer und Bremsen… “loose your ties, loose your knots”. Brodeln. Der Zusammenbruch als Versprechen. Und: Der Schritt neben das Mikrofon, über den Lärm der zighundert-Watt-Anlage und über das Übereinanderfallen der Instrumente geht der Schrei bis in die letzten Reihen: “We’ll teach you to die!”… Augen schließen!
…ein bisschen unfair ist das. Schließlich proklamieren sich auch die Telekommander durch ihr Pop-Polit-Set, James Yuill füllt einen Vorabend mit Gitarren und Elektronikschnipseln bis zur lockeren Wolkendecke. Efterklang zünden ein Feuer in der Samstagnacht an. Aber: Ein bisschen ist das, der Rest, wie ein Schaulaufen um den schönsten Tanzschritt. Und alles was Musik doch braucht, wär doch: Leidenschaft komma bedinungslose. Die Anlage auf schottisch niederschreien, und ohne Kalkulation Kraft und Geschichten in die Zuschauerkörper pumpen.
Und das schönste Immergut war… als sich, wahrscheinlich zufällig, die Suche nach der Hipness mit der Leidenschaft überschnitt: Und sich Marr atemlos auf der schwankenden Zeltbühne in einen Rausch haspelten, Tiger Lou in der Maihitze Horatio besang, Sometree den Puls setzten, die Weakerthans das Verlassen in die Nacht räsonierten und Die Schönheit der Chance noch tomtische Gegenwart war.
Es braucht Glück, und Leidenschaft. Leidenschaft, keine Frisuren. Und das darf man gerne aussprechen wie damals Oliver Kahn sein Verlangen nach Eiern.
Und das schönste Konzert war: We Were Promised Jetpacks. Und es gilt: I can’t wait till summer. When you’re warmer. Make or break, Immergut.
Titelfoto: ‘Für den Star’ von Matze Hielscher (via flickr).
Update: Die Kollegen von bunch.tv haben Teile des Immergut-Auftritts von We Were Promised Jetpacks (unter anderem Keep Warm) mitgeschnitten – und online gestellt.
Florian Naumann Am 5. June 2010 um 02:21 Uhr.
http://www.youtube.com/watch?v=WmNaolCWsOU