fallen/legen blog
Das Monument und das Leben danach – der taz erzählten die Brüder Acher am Freitag wie das war, mit Neon Golden: Mit dem nichtabsehbaren Erfolg, und dem längst errichteten Schrein für dieses Album, den die Band erst bemerkte, als der Nachfolger The Devil, You and Me veröffentlicht war, und mit einem “auch gut, aber…” begrüßt wurde.
An Meisterwerken kann man zerschellen. Notwist: akzeptieren. Ein Konzert in der Heimat München, in den heiligen Hallen der staatlichen bayerischen Jugendkultur zudem; zur Feier von acht Jahren Neon Golden, acht Jahre Meisterstück, acht Jahre… Unerreichbarkeit? Eine Feier der Vergangenheit könnte das sein. Vor 600 handverlesen scheinenden Zuschauern, im dank der BR-Ticketpraxis “ausverkauften” großen Rundfunksaal für 1.000 Zuschauer. Ein Hauch Musikgeschichte.
Und dann ganz anders: Nicht nur, dass die Band das Neon Golden früh mit unbescheiden schillernden Applikationen aus den anderen Alben an-reichert, Boneless (umjubelt) zum Beispiel – das Meisterwerk ist das Herzstück der Band vielleicht, und nicht aus Stein, sondern schlägt und pulsiert nach wie vor: Zart und perfekt kratzen sich die Gitarren durch One Step Inside, und Martin Gretschmanns Sounds und Frickeleien meinen immer noch die gleichen Geräusche – und sind dabei ganz neu aufgesetzt.
Der Trick: Alte Geschichten durch neue Augen
Betrachtet aus der letzten Reihe des großen Funksaals wird der Trick schnell klar: Wäre das gehuldigte Album ein Buch… Dann hätte es im Jahr 2010 immer noch die gleiche Story, die gleichen Charaktere und Schauplätze – aber neue Worte. Betrachtet mit den gleichen Augen und angefüllt mit 8 Jahren neuem Leben. One With The Freaks fängt ein wenig abstrakt an, und wirft dann schnell die erste Strophe über Bord, und wirft sich mit melancholischer Freude in den kleinen Ausbruch, wird länger und wächst, flink gespielt wie ein schwermütig-euphorischer Clubhit…
Vor zwei Jahren, auf der letzten Deutschlandtour wirkte die Band etwas grand-seigneuresk: Perfekt, professionell, detailverliebt. Und etwas zurückgezogen, vielleicht müde, am Maiabend in der Berliner Volksbühne. Heute erledigt der Rundfunkstudiosound die Perfektion, brummender Bass, flirrende Elektronik, und stahlhart-warme Gitarren, Micha Achers betrachtender Gesang Schulter an Schulter… und die Musik, das Ergebnis verlässt die Gerüste:
Neon Golden und Pilot: 15 Minuten Stadtleben
Neon Golden, der Titeltrack, und Pilot verschmelzen in ein fünfzehnminütiges Potpurri eines ganzen Stadtlebens, die Electronica aus Martin Gretschmanns Club Rote Sonne, ein bisschen Funk und ein Sprengsel Reggae, geloopte und in langen Jahren erliebte Textschnipsel, Different Cars and Trains, die Brüder Acher wiegen sich gegenläufig mit dem Rhythmus – und am Ende eine Minute glasklaren Indie, wie von Platte… Das Vergangene: Das verschmilzt mit dem zwischenzeitlich Erlebten. Und da ist sie, die Perfektion.
Da kommt noch etwas veratemloste Verliebtheit aus Day 7, der Frühsommerabend aus Gloomy Planets, die große, große Gefühlswelt aus Consequence als enge Umarmung, und ein mörderisch lautes Gravity. Zwei Stunden Musik fast und, jepp, so schön kann Musik sein: Ein Meisterwerk wiederholen, ohne zu scheitern. Ein Puzzle legen aus Musikerleben.
- Fotos vom Konzert am 10.4. gibt es bei den Kollegen von der Roten Raupe.
- Heute, am 11.4., findet ein zweites Konzert im Funksaal des BR in München statt. Karten sind nicht mehr verfügbar, und auch vor der Tür wohl wieder nicht billig. Die Investition könnte trotzdem lohnen.
- Am 13.5. wird das Konzert in voller Länge in Bayern 2s Zündfunk zu hören sein, 19.05 Uhr. Dann die Tapedecks und die Recordingtools zur Aufnahme bereit halten.
Titelfoto: Flo
Linn Am 11. April 2010 um 16:41 Uhr.
Das klingt perfekt. Der Text klingt so, wie ich mich jedes Mal fühle, wenn ich diese Musik höre. Dass Musik, die von so großer technischer Perfektion ist, so unheimlich emotional sein kann, ist doch ein Wunder, oder? Es muss an den Texten, der Stimme Micha Achers und vor allem seiner unvergleichlichen Art liegen, herzumdrehende Gedanken so zu formulieren, dass sie auf einmal fassbar und normal werden. Oh Mann. Ich will auch mal wieder zu einem Notwist Konzert.
Florian Naumann Am 11. April 2010 um 16:51 Uhr.
…und dann auch noch mit so einfachen Worten, kompliziert sind die Notwist-Texte ja nicht. Große Kunst. 😉
Das Tolle war wirklich: Eigentlich kann man bei so einem Anlass ja nur enttäuscht sein, aber’s war wirklich famos, das wächst immer noch. Echt eine ganz, ganz große Band.
Linn Am 11. April 2010 um 17:21 Uhr.
Ich hab die mal in Jena gesehen. Da war der Siggi auch dabei. Vor dem Konzert saßen wir draußen irgendwo rum und haben Kaffee getrunken. Und plötzlich liefen zwei ziemlich unscheinbare, abgerissene Gestalten mit einem monströsen Koffer an uns vorbei. Ich muss mich heute noch dafür auslachen lassen, dass ich Siggi damals nicht geglaubt habe, dass das die Acher Brüder waren :). Und das Konzert war auch eines der besten, die ich je gesehen habe. Im Jenaer Abendsonnenschein :D.
Das Konzert des Jahres zum Album des Jahrzehnts… – NOTWIST Live… « Elmorino's Blog Am 11. April 2010 um 19:05 Uhr.
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