fallen/legen blog

Nach Sibirien schrumpfen.

von Florian Naumann

Die Stadt, in der Fredrik, Malmös Märchenband, ihre kleine Welttournee beginnen ist von einer Eisschicht überzogen – auf dem Pflaster und dem Asphalt der Straßen Erfurts taut, bröckelt und gefriert seit Tagen das Glatteis – es ist zentimeterdicker Winter in der Mitte Deutschlands, zwischen Gotha und Eisenach, Gera und Arnstadt. Und gerade zwanzig Meter vom breiten Juri-Gagarin-Ring, auf dem die Autos Erfurts Innenstadt umkreisen, steht ein blauer Kombi mit schwedischem Kennzeichen vor dem Stadtgarten: Fredrik, der Geheimtipp des amerikanischen Kora Rec.-Labels, reisen mit leichtem Gepäck: Eine Gitarre, zwei Trommeln und etwas Elektronik stehen später auf der kleinen Bühne im Konzertraum im ersten Stock des Gebäudes.

Das überrascht, ein wenig: Denn auf ihrer letzten Reise war die Band noch ein sechsköpfiger Haufen aus einem besonders bunten Märchenbuch: Junge Menschen zupften und klopften da an einem Sammelsurium aus Gitarren, Bass, Banjo, Mandoline, Klavier und Perkussionsinstrumenten ungekannter Namen, und spielten sich durch dschungelhaft wuchernde Songs aus Traumwelten und schwedischer WG-Zimmern. Indizien gab es aber für den Wechsel – auch wenn der Club die Band noch in alter Besetzung ankündigte: Auf den neuen Bandfotos blicken noch zwei Menschen verdutzt in die Kamera – und Solanders Fredrik Karlsson, der für Fredrik bisher Gitarre spielte verriet kürzlich etwas von „collaborational problems“ (im fallen/legen-Interview ab 10.12. zu lesen).

Genau jene, die zwei vom neuen Bandfoto blicken betreten dann auch gegen 22 Uhr etwas unschlüssig die Erfurter Bühne: Fredrik und Lindefelt, Gitarre und Percussion, zwei mal dicke Brillengestelle und ein phänomenaler Bart – das ist von der Livebesetzung übrig geblieben. Eine Ehre sei es, die Tournee hier zu beginnen, erzählt Lindefelt dem vielleicht 100 Mann starken Mittwochabend-Publikum – und dann beginnt mit kräftigen Schlägen auf die transparenten Trommelgehäuse die neue Band-Ära.

Bei den Bassschlägen scheint der alte Holzboden des Hauses etwas zu schwanken, und die E-Gitarre türmt sich mit Delay und Hall zu wuchtigen Strom-Stößen, oder weit hallenden Einzeltönen – ein wenig düsterer sind die Songs des neuen Albums zudem. Und so entfaltet sich vor der weißen Rückwand des Raumes und im blauen Scheinwerferlicht ein ganz neues Szenario:

Sänger Fredrik legt beständig hohen, fast windhaft heulenden Gesang über die Trommeln und das Gitarrenpluckern und -getöse, ab und an pfeift Lindefelt in ein altes Megafon – und was sich hier, in diesem Raum nun breit macht, ist nicht mehr der Gedanke an wuchernde Märchenpflanzen und Begegnungen in warmen Räumen, sondern an die weiten Eisfelder Sibiriens, an das einsame Pfeifen des mongolischen Nomaden, und an die bittere Wucht mit der man Fabrikschlote und aus Platten errichtete Behausungen in die Winterwelten Russlands geschlagen hat. Melancholie und Weite, und, neu: Kargheit. Fredrik haben sich nach Sibirien geschrumpft.

Vinterbarn („Winterkinder“ übersetzt Bartträger Lindefelt für das Publikum), oder Locked In The Basement heißen die melancholisch gestimmten Songs des neuen Albums schließlich auch. – bleak wäre ein passendes englisches Wort: rau, und auf eine Gedanken tragende Weise karg. Und fasst überrascht es, dass Fredrik einen Wunsch aus der ersten Reihe erfüllen und nach einer Dreiviertelstunde „Black Fur“ spielen, den warmen, wundersamen Opener des Debüts „Na Na Ni“. Und er tatsächlich immer noch warm und wundersam klingt. Das Publikum nimmt es begeistert. Ab und an ergänzen kleine elektronische Sprengsel und ein Schlag auf die Weite aus hallender Gitarre und Drums, aber: Fredrik sind nun andere. Bilderreiche Welten lassen sie immer noch entstehen. Ein wenig kälter, nun.

Nach etwa einer Stunde ist der immer noch eindrucksvolle Winterspuk vorbei, ein wenig wortkarg verkauft die Band einige Alben, und trägt ihre Instrumente in den blauen Kombi. Wo dann wohl, auf der Reise zur nächsten Tourstation, auf glatten Straßen die Winterinspirationen wiederaufgeladen werden. Spuk, innen und außen, in Thüringens Weiten.

Tourdaten / Myspace / mehr Worte:

Fredrik im deutschsprachigen Raum:

5.2. Paris Syndrom, Leipzig
6.2. AZ Conni, Dresden
7.2. Rhiz, Wien
9.2. NBI, Berlin
10.2. Schauspielhaus, Hannover

Fredrik im Netz: Myspace | Homepage

Fredrik in den Worten der Kollegen von mainstage.

4 Kommentare!

  1. Linn Am 6. February 2010 um 16:37 Uhr.

    Das klingt nach einem großartigen Konzert! Auch wenn ich Fredrik bisher eher mit wärmeren Klängen in Verbindung gebracht habe. Und eine Stunde ist auch nicht gerade lang. Hat dir Erfurt denn gefallen? Der Juri-Gargarin Ring ist ja vielleicht nicht gerade der schönste Aufenthaltsort….

  2. Florian Naumann Am 6. February 2010 um 22:51 Uhr.

    Also gut war das Konzert auf jeden Fall – auch wenn ich so die Kraft und Vielseitigkeit der alten Fredrik manchmal ein bisschen vermisst hab. Man sollt sich’s fast noch mal ansehen, um’s nochmal in Ruhe zu betrachten. 😉 — In Erfurt hab ich ja sehr gute Freunde, war also nicht zum ersten Mal da… Ich find die Stadt auf jeden Fall nett. Wär nicht mein Wunschwohnort, aber eine schöne Abwechslung mal zu München – und die Architektur oder das Flair ist ja auch nicht der Hauptgrund hinzufahren. 😉

    (und danke für den Kommentar!)

  3. Mit dem Fahrrad zum Meer.-fallen/legen Am 10. February 2010 um 19:55 Uhr.

    […] wurden und heute werden, was an weiteren Träumen zu erwarten ist und warum Fredrik nun zu zweit touren… hat uns Solanders Fredrik Karlsson im Interview […]

  4. fallen/legen Kleine, gute, Nachtlektüre-fallen/legen Am 24. May 2010 um 23:20 Uhr.

    […] Nach Sibirien schrumpfen – Der blöde Seppi […]