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Uni brannte VI: Protest und Geltung.

von Florian Naumann

53 Tage besetzte Hörsäle in München – der letzte davon liegt fast genau einen Monat zurück, da kommt, endlich!, ein erstes ganz konkretes Zeichen der bayerischen Landespolitik: Die Kürzung des laufenden Zuschusses an die Studentenwerke um 2,36 Millionen, oder, eine eindrucksvolle Zahl, 35%.

Ein Beschluss mit mehreren Bedeutungsdimensionen: Verständlich, angesichts der Finanzmisere, gleichzeitig aber auch völlig überproportioniert; wo sonst wird ein Drittel des Etats gestrichen. Und unverkennbar ist die Parallele zu den Studiengebühren: Mit – gemessen am Gesamtgeldumschlag – Kleckerbeträgen werden die Schwächeren im Hochschulwesen hart getroffen. Vor allem aber ein beinahe höhnischer Zug: So großen Respekt vor der Partizipation und den Argumenten der Protestierenden gibt es, dass sie offensichtlich ganz nach oben in der Streichliste gerückt sind. Und während die Studentenvertretungen immer noch mit ergebnislosen Gesprächen um größere Selbstbestimmung beschäftigt werden, dürfen die Studentenwerke schon einmal das „Stehen auf eigenen Beinen“ üben. Immerhin finanziell “unabhängig”. Ganz unbürokratisch.

Ein ernüchterndes Ergebnis all des Engagements – tatsächlich hat die Politik die ganze Aktion ausgesessen. So gründlich, dass man sich sogar traut große Mengen neuen Zündstoffs zu liefern. Das sollte zum Kontrageben anregen. Zum Beispiel mit der laufenden bayernweiten Petition. Und zum Analysieren. Der versandete Protest: What went wrong? Ein Fazit.

Die Strategie.

…gerade hier wurde es oft thematisiert: In den Bildungsprotesten steckte viel an Inhalt. An unterschiedliche Zielen: Vom Studiengebührenabschaffungs-Pragmatismus bis zur völlig berechtigten Kritik an der stumm irrlichternden und kaum hinterfragten Zielsetzung der Politik: Funktionalisierung statt Menschenbildung. Die Verknüpfung, im Idealfall die „Allianz“ der Thesen ist nicht verkehrt – sie vergrößert die angesprochene Gruppe, und bietet gegenseitige Denkanstöße.

Schwierig wird die sinnvolle Unterfütterung mit Idealen aber, wenn pragmatische Verhandlungen beginnen: Politprofis kleineren (Uni-Präsidenten) und unmerklich größeren (Landesregierungen) Zuschnitts bieten den kleinstmöglichen Konsens an, und verlangen im Gegenzug die Herausgabe des einzigen Druckmittels der Protestierenden: Die Aufgabe des uniinternen Protests also. Das kommt – natürlich – der Aufgabe des einen Ziels zugunsten des anderen gleich. Und wiegt umso schwerer, als es eben um die äußerliche Aufgabe von Idealen geht. Ein Dilemma – das vorhersehbarerweise spaltet, in die Fraktionen „Spatz in der Hand“ und „Taube auf dem Dach“, eine Einschwörung auf ein größeres Ziel schlug offensichtlich fehl.

Der Hebel.

Diese Spaltung ist so lange problematisch, wie Teilgeständnisse nicht möglich waren. Schon aus der Theorie haben protestierende Studenten nur eine Einflussmöglichkeit auf die Sphäre der Politik: Das Drohen mit Wählerstimmen. Angesichts des (relativ) kleinen Gewichts der eigenen Gruppe funktioniert das nur über mediale Öffentlichkeit. Und die wurde durchweg einzig und allein über die symbolträchtigen Besetzungen der Audimax’en generiert.

Geradezu unglaublich schlüssig schien daher der Versuch der Münchner Schüler und Studenten ein (durchaus brauchbares, aber eben nur Teilforderungen befriedigendes) Angebot der Unileitung mit einer Reduktion des Protests zu beantworten. Allein: Das mindert die Radikalität des Protests und damit die mediale Attraktivität – und ist zugleich bitter nötig, um die Pragmatiker des Aktion zufriedenzustellen, den inneren Protestfrieden zu wahren.

Man hätte etwas anderes anbieten können, oder aber in der Hinterhand haben müssen. Netzwerke, andere öffentliche Protestformen. Die zu formieren wurde versucht, aber nicht geschafft. Am Ende stand man mit dem einen Hebel auf verlorenem Posten. Sowohl eine Aufgabe als auch ein Weiterführen dieses einzigen Mittels war nicht möglich.

Die Spaltung.

In jenem Moment, in dem pragmatische (Mindest-)Zugeständnisse angeboten wurde, teilte sich also das Interesse der Protestierenden: Die einen hatten ihr Ziel erreicht, die anderen nur einen Teilerfolg, der ein Weitermachen verlangt. Oft wurde in den Foren und Artikeln bemängelt, die Ziele der Besetzungen hätten sich radikalisiert – ein doppelt nicht zutreffender Vorwurf: Weder waren die Ziele wirklich radikal (Stichwort „humanistisches Bildungsideal“), noch waren sie verschärft worden. Offenbar wurde lediglich, dass es tatsächlich um mehr gehen sollte, als die Freipressung kleiner Zugeständnisse: Es zeigte sich, dass einige sich eben mit dem Mehrfordern, das jetzt so prominent wurde, nicht identifizierten, es aber einfach abgetan hatten.

Der Verschleiß.

Mit dem Versuch des Kompromisses waren dann alle unzufrieden – die Gruppe dünnte sich aus. Gleichzeitig zeigte sich ein Grundsatzproblem: Während Vollzeitpolitiker die Versuche der Protestgruppe recht komfortabel unter geringem Mehraufwand verfolgen konnten, zumal sich die Verantwortung auf unzählige Schultern von Uni-Leitung bis Europarat verteilte, verschmälerte sich die Energie der Protestierenden nicht nur durch Spaltung, sondern auch noch durch Kräfteverschleiß. Tag und Nacht für ein fernes Ziel zu arbeiten zehrt an Energien, psychisch und physisch. Der gute Monat, der in München unter Hochdruck besetzt wurde, war schon eine lange Zeit. Im Prinzip war die Ersinnung von für Teilnehmer und Medien attraktiven (und kraftschonenden) Alternativformen vom ersten Tag an ein Wettlauf gegen die Zeit. Zumal auch das mediale Interesse naturgemäß schwindet. – Die Politik hat verdammt gute Gründe auf ein Aussitzen zu setzen: Das Herantragen von Missständen an mehrere Adressaten kostet so viel mehr Energie, als das Ignorieren der Proteste.

Das Ende.

Über Weihnachten lief der Großteil der deutschen und österreichischen Unibesetzungen aus. Teils im Stillen, teils mit Polizeiunterstützung. Das Ergebnis war denkbar überschaubar: Eine Bachelor-Konferenz, die Ankündigung einer Bafög-Erhöhung; in Bamberg (immerhin) wurden die Studiengebühren gesenkt.

Die letzten Eindrücke der Protestierenden aber waren: Erschöpfung, dünner werdende Reihen, Abwendung der Medien, teils (wie in München) Rücknahme von Angeboten. Nicht, dass nichts erreicht worden wäre – deutlich war aber das Gefühl, nun wirklich persönlich wie als Aktion an (einem) Ende angelangt zu sein. Vielleicht regenerieren sich die Kräfte. Vielleicht werden dann die Netzwerke, Lektionen und Erfahrungen (aber auch die Wut) des Herbst-Protests Gold wert sein. Bis dahin aber hat die Politik das beste Zeitfenster noch ein paar Kahlschläge anzusetzen – strategisch sinnvolle Entschlüsse in bayerischen Ministerien. Wer hätte es gedacht.

Foto: Theresa Resa / unibrennt

2 Kommentare!

  1. aooi zu philoikos Am 2. February 2010 um 14:35 Uhr.

    … Teile und Herrsche.

    Die Elite handelt in ihrem leider sehr sozialdarwinistischem und aus einem Minderwertigkeitskomplex zu rühren scheinenden Anspruch gegen die Werte der Menschheit.
    Menschlich, und das unterscheidet uns massgeblich vom Tier ist als Bedingung für unsere Errungenschaften u.a. die gleichberechtigte Zusammenarbeit in gleichberechtigtem Zusammenleben. Letztendlich ist jede Hierarchie unmenschlich.
    In Zeiten des durch den technischen Fortschritt aufkommenden Wohlstandes und die resultierende Erweiterung des Geistes sinkt die Notwendigkeit einer Führung erneut und drastischer als je zuvor. Die grossen Religionen beispielsweise verlieren ihre geistigen Untertanen, die indes im Rausch der Begeisterung für Technik mit ihrem seelischen, gefühlsbezogenen Dasein nicht aus wissend teils an neue Glaubensrichtungen verfallen. Okkultismus boomt. Auch geht die Zahl der beschlossenen Gesetze stetig zurück …
    Zeitgleich zu allem technischen Fortschritt versumpfen die Werte. Der Glaube an den Terrorismus beispielsweise entartet jede Vorstellung von an Werte gebundenem Verhalten. Folter wird legitimes Mittel in demokratischen Staaten, wie auch die Polizei in Deutschland massiv aufrüsten darf oder die Überwachung mit Kameras oder Nacktscannern von Gläubigen akzeptiert wird; … gar jeder von sich ausgrenzt was ihm nicht in den Kragen, nicht in die Ideologie oder sein Metier passt. Angst, das Entdecken der scheinbarer Minderwertigkeit verglichen mit jenen die sich unglaublich aufblasen, die Furcht vor der Wahrheit prägt das Verhalten. Das gleicht einer gigantischen Mafia.
    Die mangelnde Notwendigkeit der Elite, gar jeder Hierarchie ist durch die Expansion der Möglichkeiten gegeben. Die Furcht vor ihrem Statusverlust, die Angst vor ihrer realen Machtlosigkeit, dieser Sterblichkeit lässt sie agieren und nach Aristophanes ‘Chaos rühren’ um die Notwendigkeit einer Herrschaft aufrechtzuerhalten.
    Es sollte jedem bewusst werden, dass wir etwas erkannt haben, was die Elite uns falsch verstehen lassen will.
    Alle individuellen Werte der Freiheit, der Entfaltungsmöglichkeiten und auch der Wahrung der Individualität müssen wieder oberste Priorität erlangen. Falsche, übergestülpte Werte der Obrigkeit, Geltungsformen wie die Währung oder der Wertpapierhandel (beides sind tatsächlich ‘Respect Credits’) ächten die Menschlichkeit durch die bewirkte Teilung und sollten so von zivilisationswilligen Menschen dementsprechend geächtet und entkräftet werden.
    Der nun umzusetzende Schritt ist das Verbreiten eines selbstbewusst- offenen Bewusstseins des Menschens für die absolute Beendigung aller Hierarchie.

    Aooi

  2. Florian Naumann Am 5. February 2010 um 18:07 Uhr.

    Nun ja – das witzige ist, dass es de facto keine Hierarchie zwischen Ministern und Studenten (oder Protestierenden) gibt. Knackpunkthafter als Hierarchie als solche empfinde ich in dem Fall die Schwerpunktsetzung der Politik, die die _über sie_ herrschenden Machtfaktoren abwägt – und hier sind wirtschaftliche Interessen (oder das, was man dafür hält – nämlich die Fertigung von “pret-a-porter-Studenten” und die kurzfristige Einsparung von Geldern in “wirtschaftsneutralen” Felder) vorrangig, die Verprellung einer kleineren, lobbylosen Gruppe scheinbar problemlos einkalkulierbar, und im Hintergrund stehende Werte scheinbar belanglos.

    Womit ich deiner Forderung nach einer offeneren, gleicheren, kooperativeren Gesellschaft nicht im Geringsten widersprechen will.