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Uni brennt III: Protest – für einige?

von Florian Naumann

Die aus Sicht eines Protestierenden positive Nachricht vorweg: Es passieren Dinge – die warden nie für möglich gehalten. Eine Wiener Unibesetzung reißt Hochschulen von Budapest bis London mit, mitten drin jene zwischen Basel und Greifswald. Im lethargischen, ewig saturierten und risikoscheuen München hat sich das kleine Häuflein Akademiebesetzer zu einer Menge von 800 Protestierenden ausgewachsen – das Audimax der Ludwig-Maximlians-Universität gut gefüllt, an der Galeriebrüstung Banner und Plakate, lange Schlangen vor dem Plenumsmikro. Bilder wie aus den Tagen Rudi Dutschkes. Beinahe. In Strauß’ und Stoibers CSU-Hochburg. Vielleicht deswegen stehen die Fernsehteams Schlange vor dem Hörsaal. (Wenngleich die Berichterstattung – natürlich? – den Protest leider auf die einfacheren Schlagworte reduziert.)

Das nächste aus Wien wohlbekannte Phänomen: Medien und Passanten schlagen Demonstrierenden eher wohlwollend auf die Schultern, statt sich – früher ebenfalls oft gehört – über “faules Studentenpack” zu beschweren. Die Gesellschaft akzeptiert scheinbar die Forderung nach Bildung. Ebenso wie die nach Freiraum für Gedanken. Vielleicht ist der Protest der Studenten sogar ein Stück weit Ventil für die starke, aber scheinbar so aussichtlose Unzufriedenheit in der Gesellschaft, mit der Leistung der (in jeder Koalitionskonstellation) großkoalierenden Politik. “Man kann ja nichts machen” – man kann doch. Zumindest einmal etwas fordern, dass über das Tagesgeschäft aus Haushaltsposten hinausgeht.

Mit dem Umzug in die großen Säle wird aber auch eines klar: Der in den kleinen Räumen und ersten Plena dominierende Typ des studentischen Gesellschafts-Idealisten ist nicht wirklich alleine an der Uni. Denn nun werden auf den Unigängen neben Zustimmung auch (seltene) wütende Pöbeleien, und in den Internetforen eindeutige Aufforderungen geerntet:  “Verschwindet aus dem Audimax!”, heißt es, und damit: “Das ist nicht mein Protest!”.

Im Vordergrund steht dann zunächst die Sorge wichtige Lehrinhalte zu verpassen – die offensichtlich größer ist, als die Unzufriedenheit mit Studienaufbau, -stress, -gebühren. Nun: Ist das System besser als von den Protestierenden wahrgenommen? Oder der Druck (just dieses Systems), das Vorgegebene zu lernen, mittlerweile so groß, dass er jeglichen Leidensdruck überdeckt? Oder die Kritikfähigkeit so gering, dass keine Missstände mehr wahrgenommen werden? Schließlich kennen viele Studierende auch keinen anderen Studienaufbau mehr – und vielleicht auch nicht die Freizeit oder den poltischen Mut, sich etwas anderes auszumalen. Und oft genug wird die Empörung zusätzlich befeuert durch die Meinung, der Protest verhalte sich wirklichkeitsfern – es müsse schon alles so sein, wie es sei. Womit offensichtlich in den Hörsälen teilweise größerer und hoffnungsloserer Konservativismus vorherrscht als auf den Straßen.

Die Frage ist schwer zu beantworten. Und sie kann nur in der Realität und subjektiv entschieden werden: Solange die Protestierenden den Zustand des Bildungssystems selber als unzumutbar empfinden, sollten sie protestieren. Wer das nicht tut, sollte auf demokratischem Wege, zum Beispiel im Plenum, durch Abstimmung, gegen den Protest vorgehen.
Einstweilen bleibt die Frage nach den Meinungsverhältnissen in der Studierendenschaft unklar. Und die nach den Gründen der Kritiklosigkeit, fast biedermeierlichen Protestabscheu und des Leistungsstrebens just einer Untergruppe des vom (behaupteten?) Bildungsmissstand mitbetroffenen Teils der Gesellschaft ein unangenehmer Gedanke. Als Protestdeligitimerung, und – vielleicht – als Vorschau auf die Auswirkungen der Ökonomisierung des Studierens.

Ob der Protest trotzdem legitim ist – da bleibt zuerst die Frage nach den demokratischen Mehrheitsverhältnissen in der Uni und dann eventuell nach dem Recht des “Vordenkens” – sich als “Avantgarde” begreifen, das geht allerdings nur zu oft schief. Deswegen heißt es jetzt, allen zu erklären, worum es geht, und die Unentschlossenen zu einer Mehrheit für eine andere Bildung zu machen, die auf ihr besetztes Audimax stolz ist.

Bis die Fronten klar sind, solange können die Protestgegner aber auch auf Vorlesungen verzichten: Das Internet und die Bibliotheken machen Informationen überall zugänglich. Und sich diese selber zu beschaffen: Auch das ist Aufgabe und Fähigkeit eines gut ausgebildeten Studenten. Oder sich öffentlich für seine Meinung einzusetzen, und so seine Vorlesungen zurückzuerhalten (wie an der Uni Würzburg) – auch das sind: Lerneffekte.

Diskussion hierzu z.B. in der Community der Münchner Besetzendenhomepage: www.unsereunibrennt.de

5 Kommentare!

  1. Jörn Am 14. November 2009 um 16:56 Uhr.

    Ah, wo ich gerade Würzburg las: http://www.mainfranken24.de/index.php?id=8&singelid=9675

  2. Flo Am 14. November 2009 um 17:07 Uhr.

    Haha, ja, das hab ich gemeint…
    Aber find ich voll okay, sollte ja eine demokratische Nummer bleiben.

  3. Nick Am 14. November 2009 um 17:52 Uhr.

    Sehr guter und differenzierter Beitrag. Vor allem den letzten Absatz halte ich für wichtig! Bequemlichkeit und Bildung/Ausbildung als Konsum denken sind definitiv negative Folgen der heutigen Bildungswahrnehmung eines großteils der Studenten. Daraus resultiert wahrscheinlich auch die angesprochene Gleichgültigkeit gegenüber und des Hinnehmens der Misstände des Bildungssystems.

  4. _ SKY BAR _ Am 17. November 2009 um 12:39 Uhr.

    Uni brennt…

    Uni brennt: Protest – für einige? Es passieren Dinge – die warden nie für möglich gehalten Studentenproteste überrollen Europa Auch in der Schweiz regt sich Widerstand. (RT @TomEnzi RT @Unibrennt) Zustände an Österreichs Unis mögen katastro…

  5. fallen/legen Kleine, gute, Nachtlektüre-fallen/legen Am 24. May 2010 um 23:36 Uhr.

    […] Uni brennt, Protest für Einige – Der blöde Seppi […]